Kulturkolumne

Kafka und die Dubai-Schokolade

Es war einer dieser Abende, an denen ich mich bereitwillig in den zeitfressenden YouTube-Strudel warf. Zu meiner großen Freude kann ich verkünden, dass der Algorithmus mich für bildungswürdig hielt. Oder warum auch immer: Mir wurde in der Dämmerung des Franz-Kafka-Jahres eine sehr alte, schwarz-grau-weiße Aufzeichnung eines Interviews aus dem deutschen Fernsehen angeboten.

Niemand Geringeres als Max Brod erzählte darin Kette-rauchend und fein prononciert von seinem Kumpel Franz damals in Prag. Allerdings entsprachen weder Brod selbst noch seine Erinnerungen an Kafka auch nur andeutungsweise meinen Erwartungen! Max Brod, Talent­entdecker, Herausgeber und Pfleger des Lebenswerkes seines schrecklich früh gestorbenen Freundes, sah fast ein bisschen aus wie Herbert Wehner, nur eben ohne Pfeife.

Und der Kafka, der da beschrieben wurde, war kein weltschmerzender Entomologe, sondern ein eleganter Witzbold, mehr Dandy als verzweifeltes Systemopfer. Von »bezaubernder Spritzigkeit und Witzigkeit« berichtet Brod gar. Sogar aggressiv habe er sein können. »Wenn ihm etwas nicht gefiel, nahm er kein Blatt vor den Mund.« Mein Kafka? All die arrogante Sicherheit des Wissens, die zurechtgezimmerten Schubladen, die man sich seit der Schloss-Prozess-Käfer-Zwangslektüre in der Schule zurechtgelegt hatte, um auch Jahrzehnte später das richtige Profiling aus dem Ärmel zu schütteln, waren in Sekunden Feuerholz. Ich war verwirrt.

Eine mysteriöse Geschichte stellte sich als Fake News heraus

Glücklicherweise klingelte in just diesem Augenblick mein Mobiltelefon, und mein Mann lenkte mich mit einer ebenso zuckersüßen wie mysteriösen Geschichte über Schokolade ab, die sich zwar als Fake News herausstellen sollte, aber für die kurze Zeit des Nicht-Besserwissens ebenfalls ganz wunderbar alle Erwartungen zerdepperte.

Die Dubai-Schokolade komme nicht aus Dubai, erzählte er begeistert, sondern wurde in Israel erfunden! So wie die Überraschung in den Hisbollah-Pagern, die ja auch ganz ordentlich Erwartungen umgekrempelt haben, ätzte ich. Na ja, die Schokolade mit der himmlischen Pistazien-Halva-Knafeh-Füllung aber dann eben doch nicht.

Schnitt zum nächsten Morgen in der Brasserie meines Vertrauens, wo der Kaffee kein Hafuch, aber okay ist, und der Teig für die Croissants tatsächlich aus Frankreich geliefert wird. (Ich war in der Küche und habe mit dem Chef gesprochen!) Dort liegt – wie immer zu dieser Zeit – der Bûche de Noël gern bis nach dem Jahreswechsel im gläsernen Tresen, das französisch-weihnachtliche Pendant zur Sufgania. Statt einen runden Schwamm zum Ölaufsaugen gibt es einen in Holzscheit-Form für den Zucker.

Und jetzt kommt’s: Den Bûche gab es dieses Mal in der Dubai-Version! Ha, Biskuitrolle war gestern. Die Franzosen haben die Patisserie schließlich erfunden! Natürlich rufe ich sofort meinen Mann an, aber der lacht nur und schickt mir ein Foto von braun-grünen Dubai-Sufganiot in Tel Aviv. Was sollte ich nur tun? Ich habe an Kafka gedacht und einfach alles gegessen! Und wie Sie gerade lesen, hält der Zuckerrausch bis heute an.

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