von Bettina Spoerri
Talya Lavie ist 28 Jahre alt und fast schon so etwas wie ein Regiestar. Die Absolventin der Jerusalemer »Sam Spiegel Film & TV School« gewann mit ihrem Kurzspielfilm Chayelet bodeda (englischer Verleihtitel »The Substitute«) dieses Jahr den Panorama-Publikumspreis der Berlinale für den besten Kurzfilm. Ausgezeichnet wurde ihr Streifen über den Selbstmord einer Soldatin auf einer Militärbasis in der Wüste auch in Jerusalem und Lodz. Die 19-minütige Produktion lief bei den Filmfestivals von Clermont-Ferrand, New York, Oslo und Granada.
Lavie ist kein Einzelfall. Auch ihre Altersgenossen Matan Guggenheim, Nadav Lapid, Guy Nattiv, Erez Tadmor und Leon Prudovsky sind mit ihren zwischen sieben und dreißig Minuten langen Kurzfilmen schon bei renommierten Festivals in Cannes, Berlin und Triest aufgetreten. Beim Nachwuchswettbewerb »Die Leoparden von morgen« des 59. Internationalen Filmfestivals in Locarno, das am 12. August zu Ende ging, war Israel mit fünf von insgesamt 28 Filmen vertreten, mehr als aus jedem anderen Teilnehmerland.
Die starke Präsenz israelischer Jungfilmer auf internationalen Festivals – den Sprungbrettern für eine Karriere im Filmbusiness – ist kein Zufall. Insgesamt 14 israelische Filmschulen wie die Abteilung für Film und Fernsehen an der Universität Tel Aviv, die Sam Spiegel Film & TV School, die Camera Obscura School of Art oder das Sapir College bilden systematisch Nachwuchscineasten aus. Die Sam Spiegel School ist unter ihnen die begehrteste. Die maximal 30 Studierenden pro Jahrgang werden intensiv betreut. Dabei werden nicht nur Filmhandwerk, Dramaturgie und Ästhetik vermittelt. Künstlerische Qualität allein genügt nicht für internationalen Erfolg. Die Ausbildungsgänge umfassen deshalb auch Fundraising, Organisation, Kooperation, Marketing und Kom- mu nikation. Wichtig ist auch, sagt Noa Ron, die Verantwortliche für internationale Kontakte und Vertrieb des Instituts, daß die Schule gute Kontakte zur Filmindustrie, zu Festivals und zum Fernsehen unterhält. So kann man die Studierenden bei ihren ersten Schritten in die Filmindustrie und in die Öffentlichkeit begleiten und unterstützen, noch bevor sie ihre Ausbildung absolviert haben. Ein Ausweis der guten Vernetzung der Sam Spiegel School ist ihre DVD-Serie, auf der sechzig Filmpersönlichkeiten aus 17 Ländern – darunter Pedro Almodovar, Paul Newman, Luc Besson, Theo Angelopoulos, Atom Egoyan, Peter Weir undSamira Makhmalbaf – die ihrer Meinung nach besten israelischen Kurzfilme ausgewählt haben.
Unterstützt werden die Jungfilmer auch von der Regierung. Uri Amitai und Yaffa Ulivitsky von der Film- und Fernseh-Abteilung des israelischen Außenministeriums organisieren israelische Filmwochen im Ausland und helfen dabei, Verleihfirmen zu finden. Bei großen Festivals wie denen in Cannes und Berlin ist das Ministerium vertreten.
Mit inhaltlichen Auflagen oder gar Zensur ist die staatliche Unterstützung nicht verbunden. Die Filme von Talya Lavie, Matan Guggenheim oder Nadav Lapid sind weder Propaganda noch unpolitische leichte Kost, sondern behandeln vorzugsweise unbequeme Themen: Die Wirkung von Selbstmordattentaten und Kriegen auf die israelische Gesellschaft, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt im Nahen Osten oder die Lebensbedingungen junger israelischer Rekruten in den hierarchischen Machtstrukturen der Armee. In Nadav Lapids Kvish beispielsweise ermorden palästinensische Straßenarbeiter ihren israelischen Chef und werden anschließend auf der Flucht getötet. Auch Matan Guggenheims Film über den absurden Alltag in Israel geht unter die Haut: Ein junger Mann verliert seine Eltern durch ein Attentat und kann mit dem Trauma nur leben, indem er mit anderen Jugendlichen auf weitere Attentate wettet.