Jubiläum

Kabbalat Schabbat im Kinosaal

von Daniel Gehrmann

Der Herbst ist prall gefüllt mit hohen und wichtigen jüdischen Feiertagen: Rosch Haschana, Jom Kippur, Sukkot und Simchat Tora. Für die Gemeinde in Delmenhorst geht das Feiern nach dem Freudenfest der Tora jedoch weiter: Am kommenden Sonntag holt sie ihre Jubiläumsfeier zum zehnjährigen Bestehen nach.
Pedro Benjamin Becerra, Gründungsmitglied der Oldenburger Gemeinde und vor zehn Jahren dort zweiter Vorsitzender, leitet heute die Delmenhorster Gemeinde. Die Delmenhorster hatten sich damals noch nicht organisiert und wurden von Oldenburg mitbetreut. Das änderte sich, als immer mehr jüdische Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion in die niedersächsische Stadt zogen.
Der damalige Stadtdirektor von Delmenhorst, Norbert Boese, legte Wert auf eine eigenständige Gemeinde für Delmenhorst, so wie es sie vor der Schoa gegeben hatte. In Verhandlungen mit der Stadt und in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Oldenburg wurde die Gemeindegründung schließlich vorbereitet. Die eigentliche Gründungsversammlung mit 50 Personen war am 24. August 1997 im Fabrikmuseum »Nordwolle« in Delmenhorst. Es war eine Wieder-, keine Neugründung, betonen die Akteure.
Rabbinisch mitbetreut wurde Delmenhorst schließlich auch von Bea Wyler, damals die erste Rabbinerin in Deutschland. Der Anfang war bescheiden. »Wir waren in einem Haus in der Nachbarschaft des jetzigen Gebäudes untergebracht, in der Louisenstraße 8«, erzählt Pedro Becerra. Das Haus hatte jedoch nur einen Raum von 20 Quadratmetern und war schon bald zu klein für die Gemeinde. So zog sie im Mai 1999 in ihre jetzigen Räume an der Louisenstraße 34 um, wo sie in einem Gebäude mit der Volkshochschule untergebracht ist. Der ehemalige Kinosaal der VHS wurde zum Gebetsraum umgebaut. Die Bankreihen drehte man einfach nach Osten um, in Ausrichtung auf Jerusalem. Die Ausstattung ist schlicht, selbst der Tora-Schrein verzichtet auf besondere Verzierungen.
Die Delmenhorster Gemeinde bezeichnet sich selbst als konservative Gemeinde. Ihr gehören derzeit 196 Männer und Frauen an. Ihren bisherigen Höchststand erreichte die Mitgliederzahl im Jahr 2003 mit 205. Seit der Gründung vor zehn Jahren sind 30 Menschen gestorben, ebenso viele sind fortgezogen. Zählt man die Angeheirateten nichtjüdischen Ehepartner und nichtjüdische Kinder hinzu, so sind derzeit etwa 300 Menschen mit der Gemeinde verbunden.
Seit etwa einem Jahr wird die jüdische Gemeinde Delmenhorst von Rabbiner Daniel Alter, dem Rabbiner von Oldenburg, mitbetreut. Alter gehört zu den ersten drei Rabbinern, die nach dem Holocaust in Deutschland ordiniert wurden. Einmal im Monat feiert er mit der Gemeinde Freitagabend und Samstagmorgen Schabbat. Doch Gottesdienste feiert die Delmenhorster Gemeinde an jedem Schabatt. »Inzwischen haben wir drei Mitglieder, die ihn leiten können«, erklärt Becerra stolz. Das ist eine beachtliche Anzahl, wenn man bedenkt, dass viele Zuwanderer mit wenig religiöser Vorbildung nach Deutschland gekommen sind.
Die jüdische Gemeinde ist heute im gesellschaftlichen und politischen Leben der Stadt fest etabliert. Sie nimmt am öffentlichen Leben teil, bezieht Position und erhebt ihre Stimme, wo es nötig ist. Ein Anlass war zum Beispiel die öffentliche Diskussion über den drohenden Verkauf des ehemaligen Hotels Am Stadtpark in Delmenhorst an den als rechtsextrem geltenden Anwalt Jürgen Rieger, der in der Immobilie ein Schulungszentrum für die rechtsextreme Wilhelm-Tietjen-Stiftung einrichten wollte. »Als wir gehört haben, dass die Nazis hier Eigentum erwerben wollen, hat uns das sehr erschreckt, dass so etwas hier passieren kann, so wie alle anderen Demokraten in der Stadt auch erschrocken sind«, erinnert sich Becerra an das Ringen um die Immobilie vor gut einem Jahr. »Mir war zu dem Zeitpunkt Herr Rieger aus Hamburg nicht bekannt. Gemeinde und Stadt kannten ihn ebenfalls nicht, die Verwaltung war im Sommerurlaub.« Die jüdische Gemeinde schloss sich dem damals gegründeten Komitee, das einen Erwerb der Immobilie durch rechtsextreme Kreise verhindern wollte, an und trug Veranstaltungen gegen den Erwerb mit. »Dank des Einsatzes aller Demokraten in Delmenhorst konnte verhindert werden, dass die Stiftung das Gebäude kauft«, atmet Becerra noch heute erleichtert auf. Doch sein Schrecken von damals sitzt tief. »Ich finde, das ist ein Unding«, sagt Becerra, »dass die öffentliche Hand mit Hilfe von Spendern dafür sorgen muss, dass Immobilien mit geringem Verkehrswert nicht in die falschen Hände geraten.«
Wenn Becerra heute auf die ersten zehn Jahre der Gemeinde in Delmenhorst zurückblickt, sagt er: »Wir haben sehr viel Glück gehabt durch die ständige Begleitung durch die Gemeinde Oldenburg. Diese Verbundenheit ist nicht zu verkennen; sie ist historisch bedingt.« Besonders zu erwähnen ist hier der Einsatz der Vorsitzenden der Oldenburger Gemeinde, Sara-Ruth Schumann, die bei Gestaltung und Umbau der 1999 bezogenen Räume half und unter anderem den Kontakt zu den Künstlern herstellte, die den Tora-Schrein, die Bima und das Vorbeterpult geschaffen haben. »Die Zusammenarbeit war und ist hervorragend zwischen Delmenhorst und Oldenburg«, bestätigt auch sie.
Zu festen Institutionen der Delmenhorster Gemeinde wurden der Chor »Ensemble Shalom« und die Bibliothek. Für die Zukunft bleiben jedoch noch einige Wünsche. Die große Aufgabe sei »die Aktivierung der Jugendlichen und Kinder. Sie sind unsere Zukunft. Wir müssen dafür sorgen, dass ihre Begleitung durch die Gemeinde gesichert ist. Außerdem müssen wir uns um die Kranken und die vielen älteren Menschen in unserer Gemeinde kümmern.« www.jgdl.de

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025

Berlin

Kreise: Union will Gesetz doch zur Abstimmung stellen

Hinter verschlossenen Türen wurde in den Unionsparteien viel über das »Zustrombegrenzungsgesetz« gesprochen. Nun gibt es laut Teilnehmern eine Entscheidung

 31.01.2025

Kommentar

Der stumme Schrei der Arbel Yehoud

Die Israelin wurde am Donnerstag von den Hamas-Terroristen endlich freigelassen. Die junge Frau muss unvorstellbare Qualen ausgestanden haben

von Nicole Dreyfus  31.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 30. Januar bis zum 5. Februar

 30.01.2025

Österreich

»Gegen Antisemitismus und Antizionismus aufstehen«

Der Bundeskanzler, dessen ÖVP Koalitionsgespräche mit der rechtsextremen FPÖ führt, sagt, weder Hass noch Ausgrenzung dürfe Platz geboten werden

 27.01.2025

Irland

Eklat mit Ansage beim Holocaust-Gedenken

Nach seinem Exkurs zum Gaza-Krieg bei der Gedenkfeier in Dublin hagelt es scharfe Kritik am irischen Staatspräsidenten

von Michael Thaidigsmann  27.01.2025

Berlin

Scholz zu Auschwitz-Gedenken: Müssen Erinnerung hochhalten

Am 80. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers wird der Opfer des NS-Terrors gedacht. Viele Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben

 27.01.2025

Gedenken

Mehr Menschen sollen sich Auschwitz anschauen

Wer einmal dort war, stelle sich die Frage, warum die Erinnerung wachgehalten werden muss, nicht, so Zentralratspräsident Schuster

 26.01.2025

Geisel-Abkommen

Scholz: Es müssen weitere Geiseln freikommen

Noch immer sind auch deutsche Staatsbürger in der Gewalt der Hamas

 25.01.2025