von Sabine Brandes
Es ist ein heißer Augusttag in Sefad. Die Straßen sind voll in dem Städtchen, das sich 900 Meter über dem Meeresspiegel an die Hänge Obergaliläas schmiegt. Nach einer Woche Waffenstillstand trauen sich die Menschen langsam wieder hinaus, gehen einkaufen oder erfreuen sich einfach nur an frischer Luft und blauem Himmel nach zu vielen Tagen in Bunkern. Mütter schieben Kinderwagen vor sich her, Männer debattieren in Cafés über Politik, Teenager genießen die letzten schulfreien Tage.
Sefad ist eine besondere Stadt, berühmt für ihre Nähe zur Kabbala, der mystischen Geheimlehre des Judentums. Nach Jerusalem, Hebron und Tiberias gilt sie als viert-
heiligster Ort Israels. Mindestens 40 Prozent der Einwohner sind religiös, in der Altstadt sind es um die 70 Prozent. Überall hängen Zettel mit Einladungen zu Mystikseminaren, Kabbala-Studierstuben sind an jeder Ecke zu finden.
Leah Scheli hat ihren kleinen Kiosk im Herzen des aschkenasischen Viertels der Altstadt heute zum ersten Mal wieder geöffnet. »Wir konnten einfach nicht mehr zu Hause sitzen«, sagt sie, als sie die Orangen für den frischgepreßten Saft nachfüllt. Während des gesamten Krieges harrte sie in ihren Haus aus, zweimal schlugen Raketen ein. »Ich hatte zwar Angst vor dem Lärm und Chaos, doch ich wußte genau, daß ich nicht wirklich etwas zu befürchten hatte, solange ich nur fest an den Allmächtigen glaube.« Scheli verkauft gemeinsam mit ihrer 12jährigen Tochter Bar Getränke, Eis und kleine Snacks. Das beste Geschäft macht sie während des alljährlichen Klesmerfestivals. Doch dieses Jahr kam kaum jemand, um Musik zu hören. Wenige Tage vor Kriegsausbruch war ihr Lager prall gefüllt, gestern hat sie alles in den Müll werfen müssen, ein Schaden von mehreren Zehntausend Schekeln. »Das ist sehr viel Geld für uns«, sagt sie, »davon leben wir doch.« Dennoch scheint sie guter Dinge zu sein. Sie schaut auf die Menschen, die über die Wege spazieren, und lächelt.
Plötzlich suchen die Leute wieder Schutz. Hasten in die Häuser – quetschen sich unter Markisen und Vordächer – diesmal nicht vor den Raketen der Hisbollah, sondern vor dem Regen. Binnen Minuten verwandeln dicke Tropfen die Straßen in kleine Bäche, die den Berg hinabrinnen. Argwöhnisch wird das Naturspektakel beäugt, das fast zwei Stunden anhält. Ungewöhnlich ist fast eine Untertreibung für diesen heftigen Regen mitten im August. Ein Zeichen von Hochoben? Scheli ist sicher. »Gott will uns damit sagen, daß jetzt alles Alte weggespült wird und es frisch vorangehen muß.« Das macht sie zuversichtlich.
Doch auch nach dem Regen sind die Zerstörungen der Katjuschas nicht zu übersehen. 417 Mal trafen sie die Stadt, es gab sehr viele direkte Einschläge in Häuser, Innenhöfe und Gärten. 80 Prozent der Bevölkerung verließen ihr Zuhaue, fanden Unterschlupf bei Verwandten und Freunden im Zentrum. Ein Mensch wurde getötet, einige wenige verletzt. »Ein Wunder! Sefad ist eine göttliche Stadt, und Er hat die Hand über uns gehalten.« Avi Chalfa glaubt fest an seine Worte. Der Mann, der die Galerie »Zikne Tsfat« betreibt, ist überzeugt vom überirdischen Schutz. Chalfa hält den Schlüssel für das berühmteste Gebäude der Stadt, die HaAri-Synagoge. Beseelt berichtet er, daß eine Rakete direkt über das heilige Haus geflogen sei und nur 50 Meter weiter in eine gerade evakuierte Mädchen-Jeschiwa einschlug. Ein Schock? »Nein, es ist wunderbar, daß der Synagoge nichts passiert ist.«
Als weiteres Zeichen für die göttliche Fügung bringt Chalfa das Beispiel des anonymen Wohltäters an. Während die Menschen in den Bunkern saßen, sei ein Mann aus Amerika gekommen, der allen Geld gegeben hat, dazu Speisen und Getränke. Einfach so. »Er wollte unerkannt bleiben, doch ich bin sicher, diese Hilfe kam von Gott.«
Göttlichen Beistand gab es wohl auch, als in der Wisnitz-Tunis-Synagoge kurz nach Kriegsbeginn eine Rakete durch das Dach knallte. Doch der Schaden im Innern ist gering, der Aron Hakodesch blieb unversehrt. Wenige Momente später schlug eine Katjuscha im Nebengebäude ein. Sie traf den Innenhof von Baala Offer. »Nur Minuten vorher stand meine Kleinste genau an diesem Fleck«, erzählt die strengreligiöse Frau und umfaßt die Hand ihrer Tochter noch fester. »Ich kann gar nicht beschreiben, was das für ein großes Wunder ist.«