von Alexander Beresowski
Anastasia muss als Dritte antreten. »Meine Knie zittern ganz schön«, gesteht die Achtjährige ihren Eltern. Sie haben Verständnis für ihre Tochter, denn auch sie sind Musiker. »Wenn ich vor meiner Klasse oder in einem kleinen Konzert vorspiele, habe ich keine Angst, ich spiele schon seit zwei Jahren Klavier!« Aber heute wird der kleinen Pianistin der Ernst des Wettbewerbs klar. Trotzig geht sie vor dem Konzertsaal auf und ab. Es bleibt noch ein wenig Zeit, die letzten Aufmunterungen entgegenzunehmen. Anastasias Mutter Elena Rasschiwina muss fort. Sie wird als Begleiterin für die Geigenklasse gebraucht.
Mehr als 100 Zuschauer sitzen im Stuttgarter Gemeindesaal, um den Darbietungen der jungen Musiker zuzuhören. Die Idee zum ersten Musikwettbewerb für die jungen Mitglieder der Israelitischen Gemeinde Württembergs hatte der Vorstandsvorsitzende Martin Widerker. Als Preisgeld hat er 1.500 Euro gespendet. Namensgeber des Wettbewerbs ist der jüdische Musiklehrer Karl Adler (1890-1973). Er kümmerte sich um die musikalische Volksbildung und half Juden bei ihrer Ausreise aus Deutschland.
Jetzt ist für 20 junge Klavierspieler und Geiger der große Tag gekommen. Sie treten in vier Altersgruppen vor der Jury an. Den Vorsitz hat die Musikprofessorin Shoshana Rudiakov. Einige der jungen Musiker haben schon beim Wettbewerb »Jugend musiziert« in Stuttgart teilgenommen und waren bis zum Bundeswettbewerb vorgestoßen.
Heute tragen aber auch sechs- und siebenjährige Knirpse ihr Können vor. Ihr Repertoire von Händel bis Schostakowitsch und von Bach bis Wieniawski ist breit gefächert.
Der 17-jährige Ilya Rapoport ist gelassen. Der junge Pianist ist in Stuttgart keine unbekannte Größe mehr. Klavierspielen sei für ihn reine Routine geworden, gibt er sich ganz professionell. »Ich habe in Russland und Deutschland an mehreren Wettbewerben teilgenommen und bin noch nie ohne Auszeichnung geblieben«, sagt Ilya Rapoport. Auch heute gewinnt er den ersten Preis. Die Musik bereitet ihm kein Kopfzerbrechen, eher das Abitur. Was er studieren möchte, weiß er noch nicht. Aber es werde wahrscheinlich etwas mit Musik zu tun haben, meint der aus Tscheljabinsk am Uralgebirge stammende junge Mann.
Bei den Geigern fällt es der Jury besonders schwer, unter den vielen hervorragenden Vorstellungen den Besten herauszufinden. In der Altersgruppe bis neun Jahre hat Jessica Berezovska mit ihrem »Konzertino« von Janschinov viel Beifall erhalten.
Das zierliche Mädchen gibt sich ebenfalls ganz gelassen. »Ich kann mich sehr gut konzentrieren«, sagt sie. »Obwohl ich mich nur zwei Wochen intensiv vorbereitet habe, konnte ich ein neues Stück einstudieren und das Programm, das ich zum Wettbewerb ›Jugend musiziert‹ vorbereitet hatte, auffrischen.« Normalerweise geht Jessica zwei Mal in der Woche zu ihrem Geigenlehrer. Aber die Vorbereitung für die Klassenarbeiten nimmt in diesem Sommer viel Zeit in Anspruch. Jessica wechselt aufs Gymnasium und möchte ihre gute Noten halten. Die Neunjährige hat mit fünf Jahren mit dem Geigenspiel begonnen und stammt aus einer musikbegeisterten Familie. Bruder Daniel spielt Geige und Gitarre.
Anastasia Rasschiwina ist zufrieden mit ihrer Darbietung, doch der Beifall schüchtert sie ein und sie versteckt sich hinter ihrem Blumenstrauß. Dann holt sie tief Luft: »Ab heute möchte ich auch Schlagzeug lernen, um wie mein Vater in einer Band zu spielen.«
In den älteren Altersgruppen haben Miriam Abramovici, Helena Dolgina und Veronika Paleeva mit ihrem feurigen Spiel von Sarasate und Wieniawski gewonnen. Am vergangen Sonntag erhielten die jungen Musiker ihre Preise. Ihr Erfolg beflügelt auch Gemeindesprecher Martin Widerker. Er denkt bereits über einen Bun- deswettbewerb für jüdische Kinder nach. Auf jeden Fall sollten sie bei den Kulturwochen im November auftreten, meint er.