Frau Rabbinerin, am kommenden Sonntag findet Ihre feierliche Amtseinführung als Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin statt. Im weitesten Sinne treten Sie die Nachfolge von Regina Jonas an, die 1935 in Berlin die weltweit erste Rabbinerin wurde. Ist das ein schweres Erbe?
ederberg: Ich fühle mich Regina Jonas schon sehr nah. Nicht nur, weil sie die erste Frau im Rabbineramt war, sondern weil ihre Haltung zu Tradition und zur behutsamen Erneuerung meiner eigenen sehr ähnlich ist. Ich bin zwar die erste amtierende Rabbinerin seit 70 Jahren in Berlin. Aber vor gut drei Wochen saß ich mit 70 Rabbinerinnen in Boston/USA beim Mittagessen zusammen. Da relativiert sich das alles ein bisschen.
Es gibt etwa 600 Rabbinerinnen weltweit, dennoch sind Sie jetzt die einzige in Deutschland.
ederberg: Wir haben etwa 30 Gemeinderabbiner in Deutschland. Wenn Sie die Zahl der deutschsprachigen Rabbiner unter 40 Jahren mit Deutsch als Muttersprache nehmen, dann liegt die Frauenquote wohl bei 30 Prozent. Das ist doch ein Anfang.
Stichwort Anfang: Seit 1. Februar sind sie offiziell in der Synagoge Oranienburger Straße tätig. Wie war der Start?
ederberg: Ein großer Schwerpunkt ist für mich die Arbeit mit jungen Familien. Ich habe sofort angefangen, einen Kindergottesdienst einzurichten. Das ist mir so wichtig, dass ich auch mal den Hauptgottesdienst verlasse, um mit den Kindern zu arbeiten. Wir haben jetzt regelmäßig etwa 12 Kinder von 2 bis 8 Jahren beim Gottesdienst. Auch eine Bar-/Bat Mizwa-Gruppe für die 10- bis 12-Jährigen ist im Entstehen. Und zu Schawuot hatten wir 15 Kinder, die sogar im Kidduschraum der Synagoge übernachtet haben. Die größeren unter ihnen haben versucht, die ganze Nacht wach zu bleiben. Sie haben aus unserem Tikkun ein richtiges Happening gemacht. Etwa 70 Leute kamen zum nächtlichen Lernen, und morgens um 4.30 Uhr beim Schacharit waren wir immer noch 30 Erwachsenen und 14 schlafende Kinder.
Woher kommen die jungen Familien?
ederberg: Im Moment sind es vor allem Familien, die bislang selten zum Gottesdienst gegangen sind. Aber zu uns kommen sie jetzt regelmäßig. Neulich habe ich erlebt, wie eine 3-Jährige ihre 4-jährige Freundin entrüstet fragte, warum sie denn in der vergangenen Woche nicht da war. Einen größeren Erfolg kann ich mir nicht vorstellen, als dass bei den Kindern die Synagoge schon die Doppelfunktion von Gottesdienst und sozialem Ort erfüllt. Natürlich sind mir alle Leute wichtig, Kinder wie Erwachsene. Aber ich möchte, dass die Kleinen wie die Großen das Gefühl bekommen: Das ist meine Synagoge, und was hier passiert, das bestimme ich.
Und das in voller Gleichberechtigung von Mann und Frau?
ederberg: Wir haben relativ rasch eine Umfrage in der Synagoge gemacht. Und das Ergebnis zeigt: Der gemeinsame Nenner der Beter ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Liturgie. Die setzen wir um. Und ich will Dinge ausprobieren und sehen, wie es mit verschiedenen Formen von Gottesdiensten läuft.
Wenden sich weibliche Gemeindemitglieder mit bestimmten Fragen eher an eine Rabbinerin als einen Rabbiner?
ederberg: Ja, das ist schon zu merken. Ich veranstalte regelmäßige Sprechstunden. Und die sind immer so voll, dass ich Zusatztermine anbieten muss. Es sind schon besondere Themen und Fragen, die aufkommen, die mit Männern auch anders be-
sprochen werden.
Wie gestaltet sich eigentlich ihr Kontakt zu den männlichen Rabbinerkollegen in der Gemeinde?
ederberg: Das ist alles sehr neu. Im Moment liegt mein Schwerpunkt auf der Arbeit innerhalb der Synagoge. Alles andere wird sich entwickeln. Die Begegnungen sind, so weit ich das beurteilen kann, bislang freundlich.
Freundlich, aber distanziert. Als die Gemeinderabbiner zu Pessach ein Grußwort an die Mitglieder der Repräsentanz richteten und Sie an der Reihe waren, hatten ihre männlichen Kollegen den Saal verlassen.
ederberg: Vielleicht war das Zufall, ich war auch als Letzte dran. Die Rabbiner sind ja viel beschäftigt.
Sie üben das Amt nicht nur als Frau, sondern auch als eine zum Judentum übergetretene Rabbinerin aus. Der Kultusbeauftragte Maw Haymov hat öffentlich bekundet, dass er damit ein Problem hat. Macht das ihre Arbeit schwieriger?
ederberg: Da der Rest des Vorstands und auch die Mehrheit in der Repräsentantenversammlung sich ausdrücklich für meine Einstellung ausgesprochen hat, halte ich das nicht für ein so großes Probleme. In der Arbeit hat es sich noch nicht bemerkbar gemacht.
Zum Judentum übergetretene Personen sollten keine Führungspositionen in Gemeinden einnehmen, sagen Kritiker.
ederberg: Ich habe genau diese Ansicht auch selbst schon vertreten. Ich finde das wirklich problematisch. Es gibt eben Erfahrungen, gute wie schlechte, die mir fehlen: die jüdische Kindheit, das Aufwachsen in einem jüdischen Umfeld. Vieles kann ich jetzt mit großer Dankbarkeit mit meinen eigenen Kindern nacherleben. Aber dieses Defizit besteht. Doch vielleicht kann es in unserer Gemeinde, in der die große Mehrheit nicht aus religiösen Familien stammt, auch ein wichtiger Beitrag sein: Dass jemand aus eigener Entscheidung zum Judentum gefunden und sich damit auseinandergesetzt hat.
Welche Visionen haben Sie für die Synagoge in der Oranienburger Straße?
ederberg: Ich wünsche mir, dass die Synagoge ein noch lebendigerer und vielfältigerer Ort wird. Ich wünsche mir, dass noch mehr Leute zum Gottesdienst kommen, und dass für sie das, was in der Synagoge passiert, relevant und wichtig ist, und dass sie aus der Synagoge Impulse in ihren Alltag mitnehmen. Längerfristig wünsche ich mir, dass die Synagoge aus allen Nähten platzt und wir mehr Gottesdienste unterschiedlicher Färbung parallel anbieten.
Mit der Rabbinerin der Synagoge Oranien-burger Straße sprach David Kauschke