von Hans-Ulrich Dillmann
Drei Paare stehen vor der Synagoge. Sie rütteln ungeduldig an der verschlossenen Tür, starren durch die beschlagenen Fensterscheiben und klopfen gegen das Glas. Von seinem Büro aus versucht Rabbiner Marcelo Bater die unverhofften Besucher zu beruhigen. »Manchmal kommen bis zu 50 Besucher am Tag«, sagt Bater, während er aufsteht und nach dem Türschlüssel sucht. »Bon Bini«, heißt Bater auf Paiamento und dann mit »Schalom« Hani und Erwin Adelstein, Irene und Larry Kendall sowie Marcia und Perry Guralnick willkommen, als er endlich das Synagogengebäude in Oranjestad, der Hauptstadt der Antilleninsel Aruba aufgeschlossen hat.
Die drei jüdischen Ehepaare aus dem kanadischen Montreal, zwischen 61 und 78 Jahre alt, sind auf Kreuzfahrt in der Karibik. Am Morgen ist das zehngeschossige Kreuzfahrtschiff »Brilliance of the Seas« mit ihnen an Bord in den Hafen eingelaufen. »Wenn wir wissen, dass es eine Synagoge in der Hafenstadt gibt, in der unser Schiff anlegt, dann besuchen wir sie«, erzählt Erwin Adelstein. Die drei Ehepaare haben sich extra einen Kleinbus mit Fahrer gemietet, um sich zur Beth-Israel-Synagoge am Adriaan Lade Boulevard chauffieren zulassen.
Jetzt stehen sie mit Rabbiner Bater in Betsaal und lassen sich die Geschichte der Gemeinde und des Gebäudes erzählen, bewundern das »Ewige Licht« aus einer blaufarbenen Birne und einem dünnen Stofflappen, der durch die Hitze nach oben flattert und so die Illusion einer brennenden »ewigen« Flamme vermittelt. Sie lassen sich den Toraschrein mit den Schriftrollen zeigen und stehen rund um die Bima, deren Abdeckung an die Batmizwa von Loniah Sarah Berlinsky im Dezember 2003 erinnert.
Rabbiner Marcelo Bater ist aus Argentinien mit seiner Frau und dem Kleinkind auf das lang gestreckte Eiland gekommen, um die Gemeinde zu betreuen. Rund 100.000 Einwohner zählt das Ferienparadies Aruba. Für die etwa 90 auf der Insel lebenden Gemeindemitglieder ist Bater ein ständiger Ansprechpartner. »Ich besuche alle regelmäßig und lasse sie spüren, dass wir eine große Familie sind, die zusammengehört.« Allerdings verlassen viele jüdische Jugendliche die Insel, um nach dem Schulabschluss mangels anderer Möglichkeiten im Ausland zu studieren, berichtet Bater. »Nur jeder Dritte kehrt wieder heim.« Viele kommen erst wieder, um nach der Pensionierung auf Aruba einen ruhigen Lebensabend zu verbringen.
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts leben Juden auf der Insel, die seit 1986 »gleichberechtigter Teil des Königreiches der Niederlanden« ist. 1754 durfte sich Moses Salomon Levie Maduro, ein Mitglied einer in Curaçao ansässigen wohlhabenden portugiesisch-jüdischen Kaufmannsfamilie mit »königlicher Erlaubnis« auf der Insel ansiedeln. Aber im Gegensatz zu den Juden auf der Nachbarinsel Curaçao waren die Aruba-Juden niemals so zahlenmäßig, dass sie in diesen Jahren eine eigene Synagoge hätten betreiben können, berichtet Bater, der der konservativen Masorti-Bewegung angehört. »Im Jahre 1867 waren 23 Personen in der Gemeinde registriert.« Erst 1962 konnten die Gemeindemitglieder ihre Torarollen feierlich in ein eigenes Gotteshaus überführen.
Beth Israel ist ein modernes, einstöckiges Gebäude. Palmen umsäumen das Gelände, ein hüfthohes Eisengitter begrenzt es. »Ohne die vielen Touristen aus dem Ausland und dem Jahresförderbeitrag der ›im Ausland lebenden Mitglieder‹, könnten wir allerdings die Gemeindekosten nicht bestreiten«, sagt Marcelo Bater, während er den kanadischen Besuchern an einer Schautafel in Form einer Torarolle die Gemeindeinstitutionen und die Mitgliederstruktur erläutert. »Daneben bieten wir Vermählungen für jüdische Brautpaare am Strand an. Besonders aus den USA kommen viele, um die Bat- und Barmizwa ihrer Kinder in karibischem Ambiente zu feiern.« Natürlich tragen auch die kanadischen Besucher des Synagogen-Gebäudes ihr Scherflein zum Fortbestand der Gemeinde bei, bevor sie sich zum Mittagessen zurück auf ihr Kreuzfahrtschiff zurückfahren lassen.
15 Minuten braucht die zweimotorige Propellermaschine bis vor der Cockpitnase die erste Landmarke von Curaçao auftaucht. Danach begleitet den Blick eine weithin sichtbare riesige Raffinerieanlage, die der Insel und seinen Bewohnern einigen Reichtum beschert hat. Als die große Rohölverarbeitungsanlage gebaut wurde, musste der damalige jüdische Friedhof in unmittelbarer Nähe geschlossen werden. Die Raffinieriebetreiber kauften der Gemeinde die weitere Nutzung des Begräbnisplatzes »Beth Chaim« ab, garantierten aber gleichzeitig den Bestand der vorhandenen Gräber. Wenn in der Wintersaison manchmal bis zu vier Kreuzschiffe im Hafen von Willemstad, der Hauptstadt der Insel anlegen, stauen sich die Touristenbusse vor dem riesigen Friedhofsgelände. Fremdenführer erläutern den Besuchern einzelne Gräber und die Bedeutung der Inschriften.
Das Tourismusministerium wirbt aber mit noch einer anderen jüdischen Institution als einzigartiger Touristenattraktion. Im Zentrum von Willemstad, dessen hohe und schmale bunt angestrichene Häuser an Amsterdam mit karibischem Touch erinnern, liegt die »Snoa«, die sefardisch-portugiesische Synagoge. Auf Curaçao wird Papiamento gesprochen, ein Idiom aus Spanisch, Portugiesisch und Niederländisch. Der Name »Snoa« stammt ursprünglich aus dem Portugiesischen und leitet sich aus dem Wort »Esnoga« für Synagoge ab. Das von einer pastellgelben Mauer geschützte Gotteshaus der liberalen Mikvé-Israel-Emanuel-Gemeinde ist eine von weltweit sechs sefardisch-portugiesischen Synagogen, deren Boden mit feinem weißem Korallensand bedeckt ist. Es soll die Beter an den langen Weg aus der Sklaverei erinnern. 1732 an Erew Passach geweiht, ist das Gebäude die älteste Synagoge in der sogenannten Neuen Welt.
»Die ›Snoa‹ ist die wichtigste Touristenattraktion der Insel«, versichert Avery Tracht, der Vorbeter der Gemeinde. Seine Kantorenausbildung hat er in den Vereinigten Staaten und in Israel absolviert, in Deutschland hat er zeitweise klassische Oper studiert. »Viele wollen unser Gotteshaus sehen, vor allem der Sandboden und seine Bedeutung interessiert sie«, sagt Tracht. Durchschnittlich 70 Besucher kommen jeden Tag, um die einzigartig und als nationales Kulturgut beworbene Synagoge und das kleine Museum zu besuchen. Und wenn Kreuzschiffe im Hafen sind, schnellen die Besucherzahlen auf 250 bis 800 Touristen täglich hinauf.
Bevor Chasan Avery Tracht den Schabbatgottesdienst in der Mikvé-Israel-Emanuel-Synagoge beginnt, muss er noch ein traditionelles Bittgebet in Portugiesisch, in einer ihm eher fremden Sprache sprechen, für »unsere Majestät, die Königin der Niederlande, Beatrice, seine königliche Hoheit, den Prinzen von Oranje und seine Gemahlin, seine Kinder und alle Nachkommen des Hauses Oranje-Nassau. Den illustren Regierungsmitgliedern des Königsreiches, den ehrwürdigen Herren, seiner Exzellenz dem Gouverneur und den Magistraten dieser Insel ebenso.«
Etwa 550 Jüdinnen und Juden leben auf der Insel. Die Mehrzahl gehört zur liberalen Mikve-Israel-Emanuel-Gemeinde, 200 Personen sind in der orthodoxen »Congregation Shaarei Tsedek« eingeschrieben, die in den 20er Jahren von aschkenasischen Juden gegründet wurde. Rabbiner der Gemeinde ist Ariel Yeshurun. Er ist vor rund sechs Jahren aus Israel in die Karibik gekommen. Da die alte, in einem ehemaligen Wohnhaus untergebrachte »Schul« viel zu klein war, begann »Rabbi Ariel« Geld für ein neues Gotteshaus zu sammeln. Der imposante Rundbau strahlt inzwischen in Weiß und die transparente Kuppel bietet einen beeindruckenden Blick auf den Himmel. Der Gemeinde sei ein »architektonisches Meisterstück« gelungen, lobt der »Curaçao Events«-Guide, ein Touristenmagazin auf der Antilleninsel, und frohlockt, dass Curaçao nun eine neue Touristenattraktion habe.
www.snoa.com
www.congresojudio.org.ar