Jüdische
Vision
Chanukka:
der Sieg einer Minderheit
von Chana Hankin
Das Buch der Makkabäer aus dem zweiten Jahrhundert berichtet vom militärischen Sieg der Juden über die syrischen Griechen, die die Ausübung jüdischer Rituale verboten hatten. Der Kampf der Makkabäer führte zur Wiederherstellung des Ju-
dentums im alten Israel, ein Ereignis, das wir jedes Jahr an Chanukka feiern.
Doch wenn der Talmud im Traktat Sabbat Chanukka behandelt, ignoriert er das militärische Wunder völlig. Stattdessen konzentriert er sich auf das Tempelwunder: das Öl, das eigentlich nur für einen Tag ausreichend war, das aber acht Tage lang brannte.
Warum spielten die talmudischen Weisen den militärischen Aspekt des Feiertags herunter? Der Historiker Avigdor Tcherikover stellte in seinem Buch Hellenistic Civilization and the Jews (Die hellenistische Zivilisation und die Juden) 1959 die These auf, die populäre Erzählung von den Makkabäern, die gegen die griechische Unterdrückung aufstanden, fasse die Ge-
schichte eigentlich falsch auf. Wenn die Griechen, ein Volk mit einem Pantheon von Göttern, neue Länder eroberten, nahmen sie die örtlichen Gottheiten und Bräuche in das Spektrum der Glaubensrichtungen und Rituale, die in ihrem Reich be-
folgt wurden, auf. So gesehen hätte man den jüdischen Haschem durchaus als weitere Gottheit willkommen geheißen und das Judentum als eine akzeptable Religion geduldet. Es war nicht griechische Tyrannei, behauptet Tcherikover, die ursprünglich zum Aufstand der Makkabäer führte, sondern die Hellenisierung der jüdischen Oberschicht.
Solange die Juden zufrieden damit waren, als geduldete religiöse Minderheit innerhalb des griechischen Reichs zu leben, akzeptierten die Makkabäer die griechische Herrschaft. Doch die jüdische Elite wählte einen anderen Weg. Sie wollte sich den Griechen kulturell anpassen und ging so weit zu fordern, Jerusalem müsse in eine griechische Polis verwandelt werden. Als im Tempel eine Statue des Zeus Olympus aufgestellt wurde, brach der bewaffnete Widerstand aus. In Reaktion darauf gingen die Griechen mit aller Härte gegen die Makkabäer vor und verboten deren Religion. Der Rest ist Geschichte: Die Makkabäer waren in ihrem Kampf siegreich. Was als religiöser Aufstand begann, endete mit einem souveränen jüdischen Staat nach Hunderten von Jahren des Vasallentums.
Nach meinem Verständnis lässt der Talmud diese Geschichte auch gar nicht aus, sondern er verwendet das Wunder des Öls als Metapher für den Sieg des jüdischen Bewusstseins.
Wenn die Weisen davon sprechen, dass das rituelle Öl mit Ausnahme eines kleinen Fasses, das nur für einen Tag ausreichen würde, entweiht worden war, meinen sie nicht wirklich das Öl an sich. Es ist ein Symbol für das Judentum selbst.
Die Makkabäer waren eine kleine Gruppe, doch sie waren der eine Krug Öl, der die Vision einer jüdischen Zukunft am Leben erhielt. Dem Anschein nach genügten ihre Taten, genügte ihr Glaube, damit das Licht des Judentums für einen Augenblick – ei-
nen Tag – flackerte und dann erstarb.
Doch ein Wunder geschah, und ihre Vision lebte weiter. Wenn der Talmud vom Öl spricht, das für acht Tage ausreichte, meint er jene Juden, die das, was die letzte glimmende Glut des Judentums hätte sein können, nahmen und es fortdauern ließen – gegen jede verstandesmäßige Erwartung. Tatsächlich lebt ihr Erbe in uns weiter.
Angesichts der aktuellen Statistiken zur Frage der jüdischen Assimilation könnte man den Mut verlieren. Doch wir wollen uns der wahren Botschaft von Chanukka entsinnen: Eine Kerze zündet eine zweite Kerze an, die eine dritte anzündet – bis wir gemeinsam eine Wiedergeburt jüdischen Lebens schaffen.
Die Autorin ist Rabbinerin bei »Nishmat«, einem jüdischen Frauenbildungszentrum in Jerusalem/Israel www.nishmat.net