gesa ederberg
ist Rabbinerin der Synagoge Oranienburger Straße in
Berlin und Geschäftsführerin des Vereins Masorti e. V.
Jüdischen Religionsunterricht in den allgemeinen öffentlichen Schulen zu erteilen, ist gut für unsere Kinder. Und es ist auch gut für die jüdische Gemeinschaft und gut für die Gesellschaft, in der wir leben. Weder der rein gemeindeinterne Religionsunterricht noch der vorgeblich weltanschaulich neutrale Ethik- und Lebenskundeunterricht bilden gleichwertige Alternativen.
Was ist das Ziel jüdischer Bildung? Die Antwort auf diese Frage gibt den Maßstab zur Beurteilung der genannten Optionen. Jüdische Bildung bedeutet, wie schon die Fragen der vier Kinder in der Pessach-Haggada klarmachen, sich bewusst als Jude verstehen zu lernen, sich als Teil der Geschichte seit Abraham und Sara zu sehen. Dazu bedarf es Erfahrungen jüdischer Gemeinschaft, in Familie und Synagoge. Zugleich braucht es auch Kenntnisse der jüdischen Tradition, also der Literatur und Geschichte.
Diese Kenntnisse wurden früher in der Familie und der Gemeinde vermittelt. Doch unsere Lebenssituation heute hat sich geändert. Nicht nur sind viele Familien und Gemeinden überfordert, für die jüdische Bildung ihrer Kinder zu sorgen, sondern es kommt auch eine neue Dimension hinzu: Wir sind heute Teil einer freien und demokratischen Gesellschaft und tragen Mitverantwortung für eine gerechte und friedliche Zukunft über unsere Gemeinschaft hinaus. Die Trennung unseres Lebens in zwei Bereiche – zu Hause und in der Gemeinde Jude sein und in der Öffentlichkeit Staatsbürger – wurde zwar im 19. Jahrhundert propagiert und war auch nach der Schoa nur allzu verständlich.
Doch diese Trennung entspricht nicht der jüdischen Tradition, sie entspricht nicht unserer Verantwortung als Teil dieser Gesellschaft und sie entspricht nicht den Bedürfnissen unserer Kinder nach einer ganzheitlichen und harmonischen Persönlichkeitsentwicklung.
Diese Trennung unseres Lebens in Jüdisch und Allgemein wird durch die Aufspaltung des Unterrichts in einen allein jüdischen Teil, der in der Gemeinde stattfindet, und einen homogenisierten allgemeinen Teil im schulischen Ethikunterricht auf ungute Weise verstärkt.
Wir wollen und wir können unsere jüdische Tradition dem Licht der allgemeinen öffentlichen Schulen aussetzen. Wir wollen und wir können Lehrpläne und Lehramtsstudiengänge erstellen, die der Größe und Vielfalt der jüdischen Tradition genauso gerecht werden wie der liberalen Verfassungsordnung dieser Gesellschaft. So helfen wir unseren Kindern, als Juden Teil dieser Gesellschaft zu sein und als Bürger immer auch Juden zu bleiben.
esther hass
ist im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Kassel und pensionierte Lehrerin.
Jüdischer Religionsunterricht ist wichtig, aber er gehört nicht an staatliche Schulen. Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass er in den meisten Städten der Republik, einschließlich des dazugehörenden Umlandes, praktisch nicht durchführbar wäre, weil die Kinder und Jugendlichen auf zu viele Schulen verteilt sind: Es kämen gar keine homogenen Unterrichtsgruppen zustande. Gerade Grundschüler sind nach Wohnbezirken auf die entsprechenden Schulen verteilt.
Zudem ist die bundesrepublikanische Gesellschaft eine multikulturelle, worin jüdische Kinder und Jugendliche nur eine kleine Gruppe darstellen und in einem Klassenverband meist nur als Einzelpersonen vorkommen. Sie sind also immer in der Minderheit, doch gerade Grundschulkinder benötigen die emotionale religiöse Bindung. Deshalb sollte der Religionsunterricht in den jüdischen Gemeinden stattfinden. Nur dort kann in diesen jungen Jahren jüdische Identität entwickelt und gefestigt werden. Zugleich werden die Kinder damit emotional an die Gemeinden gebunden und können dort auch Freundschaften knüpfen.
Zudem können die Kinder und Jugendlichen dort die intensive Vorbereitung auf Feste und Feiern erleben und ihr religiöses Empfinden in die Familien hineintragen. Denn gerade Zuwandererfamilien hatten in ihren Herkunftsländern oft nicht die Möglichkeit, ihre Religion in allen Facetten des Lebens auszuüben. Das ist auch ein Grund, warum viele Familien noch immer unter den Traumata von Verfolgung und Antisemitismus – bewusst oder unbewusst – leiden und sich deshalb scheuen, ihre jüdische Identität im öffentlichen Raum von Gesellschaft und Schule zu zeigen.
Gerade in jungen Jahren ist es besonders wichtig, dass die jüdische Identität entwickelt und gestärkt wird, ebenso das kollektive Gedächtnis und damit verbunden das jüdische Geschichtsbewusstsein, das nicht von Religion, Religionsausübung und Tradition zu trennen ist. Findet der jüdische Religionsunterricht in der Gemeinde statt, kann beispielsweise der jüdische Kalender erlebbar gestaltet werden, ebenso wie die koschere Speisenzubereitung. Ähnliches gilt auch für das Erlernen der hebräischen Sprache, die sich erst in Gottesdienst und Synagoge als lebendige Sprache erweist. Große und kleine Schüler, ältere und jüngere könnten in ihre Identität und Geschichte hineinwachsen und somit ihr jüdisches Selbstbewusstsein und Selbstverständnis stärken.
Staatliche Schulen sind nun mal ein öffentlicher Raum, in dem sich vieles, was sehr wünschenswert ist, nicht verwirklichen lässt.