Frau Tasbach, seit bald 1000 Tagen hat die Gelsenkirchener Gemeinde eine neue Synagoge. Was hat sich dadurch verändert?
Wir sind in die Neuzeit katapultiert worden. Es hat sich ein reges Gemeindeleben entwickelt. Die Menschen hier sind aufgeblüht. Wir haben einen Rabbiner eingestellt, es gibt Jugend- und Vorschulgruppen, einen Chor, eine Seniorengruppe und gut besuchte Gottesdienste. Auch das ehrenamtliche Engagement ist groß. Beim Umbau unserer Nachkriegs-Synagoge, die 1958 in einem Privathaus eingeweiht wurde, haben 22 Mitglieder geholfen.
Wirkt das blühende Leben in der Gemeinde auch nach außen?
Wir verstecken uns nicht, sind viel aktiver geworden. Mit der Synagoge ist die Gemeinde zurück an ihrem alten Platz, in den Herzen der Gelsenkirchener. Es kommen viele Gäste. Sie schauen sich um oder besuchen unsere Konzerte und Vorträge. Alle haben die neue Synagoge gut angenommen.
Was passiert mit der alten Synagoge?
Dank der Förderung der Stadt und der Bezirksregierung können wir sie erhalten. Sie soll das Nachkriegsleben und den Rückkehrwillen dokumentieren. Wir wollen dort ein Museum einrichten, die Synagoge bleibt erhalten. Eine gute Dokumentation jüdischen Lebens vor der Schoa gibt es schon. In Gelsenkirchen legt man großen Wert auf das Gedenken. Wir wären nicht hier, wenn wir nicht eine so breite Unterstützung von den Menschen dieser Stadt bekämen.
Kurz nach der Eröffnung der neuen Synagoge wurden Sie Vorsitzende der Gemeinde. Wie kam es dazu?
Als mein Vater, der auch Vorsitzender der Gelsenkirchener Gemeinde war, 2001 starb, hat man mich gefragt, ob ich beim Synagogenbau helfen könnte. Und im Mai 2007 wurde ich dann, zu meiner Überraschung, zur Vorsitzenden gewählt. Mein Vater hatte mich oft gefragt, ob ich nicht etwas im jüdischen Bereich tun wolle. Meine Antwort war immer: »Nein, Papa, ich möchte Karriere machen.« Man kommt auf verschiedenen Wegen dorthin, wo man hingehört. Und ich bin mir sicher, dass ich hierher gehöre.
Steckt die Gemeinde in einem Umbruch, seit Sie Vorsitzende sind?
Das Leben in und mit der alten Synagoge war ein anderes. Es war viel einfacher strukturiert. Mein Vorgänger hat zwei halbe Tage im Büro verbracht, und heute ist es ein Full-time-Job. Wobei das nicht reicht. Ich glaube nicht, dass ich hier viel verändert oder erneuert habe. Das kam situationsbedingt. Für uns alle ist die Arbeit intensiver geworden, es gibt mehr Aufgaben.
Gab es auch auf anderen Posten Wechsel?
Eine Dame ist noch zur Repräsentanz hinzugekommen. Wir alle haben untereinander ein freundschaftliches Verhältnis und verstehen uns. Das merkt man daran, dass die Dinge gut laufen.
Besonders im kulturellen Bereich mit den zahlreichen Veranstaltungen.
Ja, ich versuche auch, das weiter auszubauen. Es ist wichtig für eine Gemeinde, nicht nur die Religion intensiv zu leben, sondern auch die reichhaltige jüdische Kultur. Alles soll hier zusammenkommen. Wenn wir dadurch die Begegnung mit unserer Umwelt pflegen, werden die Menschen jüdisches Leben als selbstverständlich wahrnehmen. Über unserem Eingang steht: »Mein Haus ist ein Haus der Gebete für alle Völker.«
Mit der Gemeindevorsitzenden aus Gelsenkirchen sprach Zlatan Alihodzic.