von Chris Meyer
Am Sonntagvormittag könnte es eng werden in der Fasanenstraße. Neben den Be-
suchern der Gemeindeversammlung (Be-
ginn 11 Uhr) werden viele Interessierte ins Gemeindehaus kommen, um sich für die Kurse der Jüdischen Volkshochschule Berlin (JVHS) einen der begehrten Plätze zu sichern (Anmeldung 11 bis 15 Uhr). Empfohlen wird, bereits eine Stunde vorher zu erscheinen, da der Andrang stets groß ist. Galina Grodynskaja kennt die langen Schlangen bei der Anmeldung seit Jahren. Denn sie war erst langjährige Assistentin in der JVHS und ist nun die neue Leiterin, die Nachfolgerin von Nicola Galliner, die im Herbst ausstieg.
Nun hält sie das druckfrische JVHS-Programm in den Händen und ist zufrieden. Am kommenden Montag beginnt das erste Trimester, für das sie erstmalig verantwortlich ist. Seit 18 Jahren ist die 46-Jährige bei der Berliner Gemeinde beschäftigt, davor war sie stellvertretende Schulleiterin in Moskau.
Was beim neuen Programm sofort auffällt: Das Angebot ist wieder vielfältiger geworden. »Wir versuchen, unser Themengebiet zu erweitern«, meint Grodynskaja. Neu sind zum Beispiel die Sonntagsmatineen. Dabei geht es um Fragen des modernen Judentums sowie um aktuelle weltpolitische Ereignisse. Die erste Veranstaltung steht unter dem Motto: »Von der Kunst, ein jüdisches Auto zu malen«, ein Vortrag der Künstlerin Anna Adam. Als Highlight wird die Deutschland-Premiere des Films »Zwischen allen Stühlen« beschrieben, ein Film über die Lebenswege des Journalis-ten Karl Pfeifer. Ferner ist ein Vortrag von Rabbiner Tuvia Ben-Chorim geplant, der sich mit der Wirtschaftskrise beschäftigt. Ilan Mor, Gesandter des Staates Israel, referiert über »61 Jahre Israel – Rückblick und Ausblick«. Eine Diskussionsrunde mit den Rabbinerinnen Gesa Ederberg und Dalia Marx zur Gleichberechtigung der Frauen im Judentum steht ebenso auf dem Programm wie Klesmermusik oder Sprechkonzerte sowie Lesungen und Kurse zu jiddischer Literatur. »Wir möchten nicht die traditionellen Themen wie etwa Kultur, Religion, Literatur, Kunst und Philosophie vernachlässigen, sondern diese aus neuem Blickwinkel und neuer Perspektive beleuchten«, betont die Leiterin. Außerdem habe sich die JVHS vorgenommen, ab jetzt in jedem Trimester mindestens einen Kurs in englischer oder russischer Sprache anzubieten, da das Interesse an solchen Veranstaltungen in einer Multi-Kulti-Metropole wie Berlin mehr als rege sein wird.
Bei der Programmgestaltung haben zwei Beraterinnen, Elvira Grözinger, Gründungsdozentin der Frankfurter Jüdischen Volkshochschule, und die Kunsthistorikerin Sigalit Meidler-Waks geholfen. Aufgrund ihrer Anregungen gebe es nun zwei neue Seminare, zur jüdischen Geschichte Berlins und zur jüdischen Literatur. Ebenso hatten sie die thematisch unterschiedlichen Matineen angeregt, mit denen eine neue Veranstaltungstradition eröffnet werden soll. Das Ziel sei, die Gemeindemitglieder und die Hörer von außen über verschiedene Themen in ein stetiges Gespräch zu bringen, sagen Grözinger und Meidler-Waks.
Das Programm trage den Veränderungen in den Strukturen der Jüdischen Ge-
meinde Rechnung, meint die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind. Natürlich konzentriere es sich auf die Fortführung von Sprachkursen gemäß der Devise »Integration durch Wissen«. Sprachkurse in Iwrit, Deutsch-Intensivkurse für Zuwanderer und israelische Volkstänze, bleiben ein wichtiger Bestandteil. »Aber es gibt auch ein Zusatzprogramm. Mit der kontinuierlichen Pflege jüdischen Wissens sowie neuen Wegen in der Bildungs- und Aufklärungsarbeit bleibt die JVHS unverzichtbarer Bestandteil der jüdischen Kultur in un-
serer Stadt«, macht Süsskind deutlich.
»Die Arbeit der Jüdischen Volkshochschule wird von uns sehr geschätzt«, heißt es beim Berliner Senat, der diese Einrichtung seit Jahren unverändert mit 128.000 Euro fördert, sagt Kenneth Frisse, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Ob-
wohl auch bei den Berliner Volkshochschulen der Rotstift angesetzt worden sei, sind an dieser Einrichtung keinerlei Kürzungen vorgenommen.
Der Budgetvorschlag der JVHS für den Haushaltsplan der Jüdischen Gemeinde umfasse das gleiche Volumen wie im vergangenen Jahr, sagt Kulturdezernent Aharon Risto Tähtinen. Auch die Teilnehmergebühr soll derzeit nicht erhöht werden. Die Gemeinde müsse zwar angesichts der schlechten Finanzlage vorsichtig handeln, aber dieser Bereich soll »nicht kaputtge-spart werden«, sagt Tähtinen. »Wir haben eine Aufgabe, nämlich Wissen zu vermitteln.« Dies soll auch in Zukunft mithilfe von Rabbinern und anderen Dozenten geliefert werden. Für das nächste Trimester habe er auch schon Themen gesammelt. Zum Beispiel: Können Juden in Deutschland leben, wenn Beschneidungen oder das Schächten verboten werden?
Aber so weit ist es noch nicht. Jetzt beginnt erst einmal dieses Trimester, das auch eine Art Testlauf ist. »Wir müssen schauen, ob wir mit diesem und den nächsten Programmen auf der richtigen Bahn sind«, sagt Tähtinen. An den Zahlen der Kursteilnehmer werden sie es merken.
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