von Yasha Levine
Sie geht ihrem Ende entgegen. In einigen Jahren wird es die kleine Gemeinde in Sevan wohl nicht mehr geben. In der armenischen Stadt lebt heute nur noch ein gutes Dutzend Subbotniks. Ihre Vorfahren waren russische Bauern, die vor 200 Jahren zum Judentum konvertierten. Der Name Subbotnik kommt daher, daß sie lieber den Schabbat – auf Russisch Subota – als wöchentlichen Feiertag hielten und nicht den christlichen Sonntag.
Mikhail Zharkov, der 76jährige Führer der winzigen Subbotnik-Gemeinde in Sevan, sagt, lediglich 13 der 30.000 Einwohner des alpinen armenischen Städtchens seien Subbotniks. Es gibt drei Männer und zehn Frauen. Und alle gehen auf die 80 zu. Die Gemeinde von Sevan gehört zu den schätzungsweise 10.000 bis zu 15.000 Subbotniks, die über das gesamte Gebiet der ehemaligen Sowjetunion verstreut leben. Zharkov, ein drahtiger, energiegeladener pensionierter Schweißer mit einem Kopf voll weißer Haare, schätzt, daß die Gemeinde von Sevan in ihrer Glanzzeit in den 30er Jahren bis zu 2.000 Mitglieder zählte.
In der Nähe der Stadt liegt in einer Höhe von etwa 1.800 Metern der gleichnamige Sevan-See mit seinem türkisfarbenen Wasser. Er wurde in kommunistischer Zeit als gigantische natürliche Ressource betrachtet, die es auszubeuten galt. In den 30er Jahren wurde Armenien zur Sowjetrepublik, der See fiel der desaströsen sowjetischen Planung und dem forcierten industriellen Wachstum zum Opfer.
Während der kommunistischen Herrschaft verloren die Subbotniks zusammen mit ihren begehrten Seegrundstücken die Freiheit der Religionsausübung, durch die sie ihre Identität über beinahe zwei Jahrhunderte bewahrt hatten. Laut Zharkov konfiszierten die Sowjetbehörden auch die Subbotnik-Synagoge. In der Zwischenzeit ist sie privatisiert worden und diente als Gewerbegebäude – bis heute bekamen es die Subbotniks nicht zurück.
Eine unbekannte Zahl von ihnen aus der ganzen Region ist nach dem Untergang der Sowjetunion nach Israel ausgewandert. Für die Sevaner Subbotniks war die Alija jedoch nie ein Thema. Und das, obwohl die sowjetischen Repressionen und die schwierigen Bedingungen, die nach dem Untergang des Kommunismus in Armenien herrschten, die Struktur der Gemeinde von Sevan zerstört haben.
»Mein Sohn ist 48, er und meine 36jährige Tochter leben in Moldawien. Und natürlich sind sie getauft«, erzählt Zharkov. »Sie haben sich taufen lassen, ohne mit mir oder meiner Frau darüber zu sprechen. Meine Tochter mußte es tun, da sie einen russisch-orthodoxen Mann geheiratet hat.« In der Familie Zharkov spiegelt sich die Situation der ganzen Gemeinde wider. Die Nachfahren der Subbotniks aus Sevan, die heute überall in der ehemaligen Sowjetunion leben, gewähren ihren in der Stadt verbliebenen Eltern keine finanzielle Unterstützung, sagt Zharkov. »Wir führen ein einfaches Leben, aber alles ist sehr teuer geworden. Ohne die Hilfe der jüdischen Gemeinschaft hätten wir es sehr schwer«, sagt er. »Unsere Renten sind dürftig. Sie reichen nicht einmal für Strom und Heizung.«
Das armenische Büro von Hesed Avraham, einer vom American Jewish Joint Distribution Committee (AJDC) geförderten Wohlfahrtsorganisation, schickt in regelmäßigen Abständen Lebensmittelpakete an die kleine Subbotnik-Gemeinde.
Die geheimnisumwitterte Konversion der Subbotniks im 19. Jahrhundert, ihr striktes Festhalten an der Tora und die hartnäckige Weigerung, zurück zum Christentum zu konvertieren, hat ihnen Unterdrückung und Verfolgung eingebracht. Unter Alexander I. im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts wurden die Subbotniks massenhaft in weit entfernte Gegenden des russischen Reiches deportiert.
Nach Angaben von Michael Freund, Gründer von Shavei Israel, einer Organisation mit Sitz in Israel, die sich an »verlorene Juden« wendet, leben Subbotniks in kleinen Enklaven überall in den Randgebieten der ehemaligen Sowjetunion. Die Subbotniks von Sevan wissen nicht, aus welchem Teil Rußlands ihre Vorfahren stammen und aus welchem Grund sie zum Judentum konvertierten. »Vielleicht hielten sie das Judentum für eine reinere Form der Religion«, überlegt Zharkov.
Die meisten Subbotnik-Gemeinden praktizieren die Beschneidung, doch sonst unterscheiden sie sich äußerlich in nichts von anderen russischen Bauern. Die Frauen tragen Kopftücher und lange Röcke, die Männer schlichte Hosen und Hemden. Sie halten sich nicht an die jüdischen Speisevorschriften, die Kaschrut, und ihre melodischen russischen Schabbatgebete klingen wie Volkslieder.
Laut Gersh-Meir Burshtein, Leiter einer Chabad-Synagoge in der armenischen Hauptstadt Eriwan, sind die zwei Schriftrollen, die sich früher im Besitz der Gemeinde befanden, Beweis dafür, daß die Subbotniks von Sevan einst des Hebräi- schen kundig waren. Vor einigen Jahren übergaben sie der jüdischen Gemeinde in Eriwan eine ihrer alten Torarollen. Noch heute liest man sie in der Synagoge der Hauptstadt. Die andere wurde der kleinen Gemeinde gestohlen. Die Subbotniks von Sevan singen und lesen aus ihrem eigenen auf der Tora beruhenden Gebetbuch in russischer Sprache.
»Vielleicht hat einer ihrer Gemeindeältesten irgendwann erkannt, daß sie dabei waren, ihre Hebräischkenntnisse zu verlieren«, sagt Burshtein. «Deshalb benutzen sie jetzt das russische Gebetbuch, um sich die Tora anzueignen.«