von Miryam Gümbel
In Bayern gehört »Religionslehre« zu den Abiturfächern, wählbar als Grundkurs oder als Leistungskurs. Für Letzteres hatten sich unter den jüdischen Abiturienten in dem zu Ende gehenden Schuljahr zehn junge Menschen entschieden. Die traditionelle Abi-Feier in der IKG fand in der vergangenen Woche statt – erstmals im neuen Gemeindezentrum am Jakobsplatz.
Im Foyer zwischen großem und kleinem Gemeindesaal war bereits alles für das abschließende Büffet vorbereitet, als die Absolventen nach dem Abendgebet in der Ohel-Jakob-Synagoge in den kleinen Saal kamen. Dieser war bis auf den letzten Platz gefüllt. Nicht nur Mitglieder des IKG-Vorstands gaben den jungen Menschen die Ehre. Auch viele Familienangehörige über die Eltern hinaus haben in den neuen Räumlichkeiten den notwendigen Platz gefunden, um ihre Abiturienten zu feiern. Unter den Gästen waren auch der Schulleiter des Münchner Luitpoldgymnasiums, Helmut Kirmaier, und aus dem Bayerischen Kultusministerium Sandra Krump.
Rabbiner Steven Langnas war stolz auf die Leistungen der jungen Menschen, die er seit vielen Jahren kennt und begleitet hat. Sein Segenswunsch für sie alle war, dass sie jüdisches Lernen und Wissen immer als einen schönen Teil ihres Lebens betrachten mögen. Das Wissen um Judentum und Israel bestimmte denn auch die Auswahl der jeweiligen Facharbeiten, welche die Abiturienten kurz vorstellten.
Roberta Harrich hatte sich mit der »Bedeutung des Judentums im Leben und Werk von Sigmund Freud« befasst. Da sie selbst Psychologie studieren will, lag das nahe. Fasziniert war sie von den jüdischen Wurzeln der Psychoanalyse: »Wenn man eine jüdische Erziehung genossen hat, kann man sich nicht vor dem Judentum verstecken«, meinte sie dazu.
Amos Aranowicz hat seine Facharbeit über die Falascha geschrieben. Bei einem Besuch an der Jerusalemer Westmauer hatten ihn zwei äthiopische Juden tief beeindruckt. »Ich war so bewegt, dass ich mehr über sie erfahren wollte«, begründete er die Wahl seines Themas.
Luna Sonegos Vorfahren stammen aus Marokko. Ihre Geschichte hat sie immer interessiert. So verglich sie in ihrer Arbeit das Lebens der Juden in Marokko mit dem der äthiopischen Juden. Dabei ging sie der unterschiedlichen historischen Entwicklung in beiden Ländern ebenso nach wie der Integration der Immigranten in Israel.
Kurz und knapp, dafür mit viel Überzeugungskraft begründete Jerome Meiteles die Wahl seines Themas »Religiöser Alltag in der israelischen Armee«. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch betone immer wieder, dass Israel die Versicherung für jüdisches Leben in aller Welt sei, sagte der Schüler. »Die Zahal« so Maiteles, »ist die Lebensversicherung für Israel.«
Auch Eli Szeinwald befasste sich mit einer aus Israel in die Welt hinein wirkenden Thematik: »Die Entstehung und Bedeutung des israelischen aschkenasischen Rabbinats, dargestellt durch Raw A. J. Kook und Rwa I. M. Lau«.
Alessandra Habermann schrieb über »Die Seele und ihren Weg aus der Sicht des Chassidismus«. Ihr Resümee: »Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass das Leben mit dem Tod nicht endet. Gottes Wege sind unergründlich. Aber es gibt eine göttliche Gerechtigkeit – und wir Menschen können uns darauf verlassen.«
»Laschon Hara – Das Verbot übler Nachrede in der jüdischen Tradition« hat Miron Kof beschäftigt. Unter Applaus und zustimmendem Lachen der Anwesenden meinte er: »Dieses Thema ist auch bei vielen religiösen Menschen ein Schwachpunkt.« Besondere Kritik ließ er Massenmedien und Internet zukommen, da durch sie Gerüchte sehr viel schneller als früher verbreitet würden.
Sharon Rubinstein hat ihre Arbeit über »Theodor Herzl und seine Vision des Zionismus« geschrieben – ein Thema, dessen man sich immer wieder bewusst werden und bleiben muss. Denn mit seiner Vision hat Herzl dem Judentum eine Perspektive gegeben.
Lorenz Pitum nahm die Einweihung der Ohel-Jakob-Synagoge vor gut einem halben Jahr zum Anlass, der Frage »Jüdisches Leben in Bayern von 1945 bis heute« nachzugehen. Er zeigte ein Stück Münchner und bundesdeutscher Geschichte auf. Zudem ging er auf die Integration der aus Osteuropa stammenden Juden in München ein – in den Nachkriegsjahren und heute.
Rachel Weinberger hat sich mit dem »Lebenszyklus der jüdischen Frau im Lichte der Gegenwart« beschäftigt. Bei dem für sie »sehr persönlichen Thema« ist sie zu dem Schluss gekommen, dass das Judentum eine Religion ist, die nicht stehen bleibt. Die Halacha begleitet jeden Schritt, »und Gott ist immer mit uns, wenn man ein jüdisches Leben führen will«.
Religionslehrer Marcus Schroll ließ die beiden zurückliegenden Jahre gemeinsamen Lernens noch einmal kurz Revue passieren, bevor er die jungen Menschen in eine »hoffentlich gute und interessante Zukunft« verabschiedete. Er hoffe, dass sie sich immer ihrer jüdischen Identität bewusst blieben. Dementsprechend war sein persönliches Abschiedsgeschenk für jeden eine einfache Fotokopie – allerdings mit prägendem Inhalt: »Du und die jüdische Gesellschaft«, zehn Paragrafen für ein entsprechendes Leben von Joseph Carlebach. Diese, so Schroll, sind »für uns heute von ebenso großer Bedeutung wie für den jüdischen Menschen vor 80 Jahren«.
Die Absolventen ihrerseits dankten ihrem Lehrer mit einem kleinen Abschiedsgeschenk und einer Bildcollage mit ihren eigenen Porträts. Ihr Dank galt auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch und dem Gemeindevorstand für die Finanzierung der Abschlussfahrt nach Worms. Dort hatten sie gemeinsam die Raschi-Synagoge besucht, einschließlich Jeschiwa, Mikwe und Raschi-Haus. Auf dem Wormser Jüdischen Friedhof waren sie an den Gräbern von Rabbi Me’ir von Rothenburg, Alexander von Wimpfen und des Maharil.
Nach dem obligatorischen Gruppenfoto der anwesenden Abiturienten aus Grund- und Leistungskurs ging es dann zum gemeinsamen Feiern und vielen Gesprächen hinaus ins Foyer. Hier galten die am häufigsten gestellten Fragen dem Wo und Wohin und dem weiteren Lebensweg. Jura und Medizin, Psychologie und Physik wurden als angestrebte Studienfächer genannt, einige wollen sich auch erst noch ein wenig orientieren, bevor sie sich festlegen. Die meisten haben sich für ein Studium in England oder Israel entschieden. Nur drei der Absolventen werden zunächst in München bleiben.