Herr Rabbiner, Sie haben eine Art Chanukka-Wunder vollbracht: Rund 500 Be-
ter von drei liberalen Berliner Synagogen haben erstmals gemeinsam das Lichterfest gefeiert. Wie kam es dazu?
ben-chorin: Die Idee entstand, nachdem ich an den Hohen Feiertagen in den drei Synagogen gepredigt und dabei dort die Beter kennengelernt hatte. Ich dachte, Chanukka wäre eine schöne Gelegenheit, die Menschen zusammenzubringen. Mal ganz ohne kontroverse Auffassungen in Fragen der Einhaltung des Schabbats oder der verschiedenen Nussachim, also der unterschiedlichen synagogalen Traditionen. Wir sprechen immer so viel von der Einheitsgemeinde, hier haben wir dieses Prinzip umgesetzt. Und dabei habe ich mit Vertretern der Pestalozzistraße, Rykestraße und des Fraenkelufers als ein Team zusam-
mengearbeitet. Und dabei wurden wir von der Gemeinde kräftig unterstützt.
Wächst da zusammen, was zusammen- gehört?
ben-chorin: Das weiß ich nicht. Ich war zwar bereits einmal vor etwa 15 Jahren hier, und bin jetzt seit September vergangenen Jahres durch meine Tätigkeit am Abraham-Geiger-Kolleg wieder in Potsdam und Berlin. Aber ich kenne die Gemeinde zu wenig, um das be-
urteilen zu können. Man sollte das auch nicht überbewerten. Aber es war eine wunderschöne Veranstaltung, die wir am 21. Dezember im Gemeindehaus gefeiert haben.
War dabei auch ein Thema, dass die drei liberalen Synagogen bislang ohne Rabbiner auskommen müssen?
ben-chorin: Nein, an diesem Abend nicht. Aber ich habe als Rabbiner sehr gute Reaktionen erfahren. Und diese gemeinsame Veranstaltung kam auch zustande, weil wir auf derselben Wellenlänge sind. Ich komme aus einer jeckischen Familie. Mein Vater, Schalom Ben-Chorin sel. A., war ein jüdischer
Theologe. Ich bin in einem deutsch-jüdischen Milieu groß geworden. Und durch meine Arbeit in Jerusalem kenne ich auch die Mentalität der russischsprachigen Zuwanderer sehr gut. Wir haben dort sehr viele Aktivitäten für sie entwickelt. Wir hatten nicht die Einstellung, dass wir nur mit ihnen sprechen, wenn sie zu den Gottesdiensten kommen.
Es wird in diesem Zusammenhang häufig davor gewarnt, dass sich die Kultusgemeinden zu Kulturvereinen entwickeln. Sehen Sie diese Gefahr?
ben-chorin: Nein überhaupt nicht. Ein moderner Gemeinderabbiner muss die Linie zwischen Kultur und Kultus aufnehmen. So- lange jemand in der Gemeinde als Mitglied eingeschrieben ist, und er nicht zur Gemeinde kommt, muss die Gemeinde einen Weg finden, zu ihm zu kommen. Und da kann man nicht immer zwischen Kultus und Kultur unterscheiden.
Was heißt das?
ben-chorin: Wenn zum Beispiel in der Gemeinde Balletttanz für Kinder angeboten wird und der Rabbiner dort von Zeit zu Zeit erscheint und mit den Kindern spricht, und sieht, was sie dort machen, ist es dann nur Kultur? Kultus ist es nicht. Oder wenn man mit jungen Leuten zu einer Wochenendfreizeit fährt, dort einen Gottesdienst abhält, aber auch mal Fußball spielt. Was ist das? Ich finde es schon problematisch, wenn man Judentum in Kultus und Kultur aufteilen will. Denn ich glaube, dass Judentum eine Lebensform und eine Weltanschauung ist. Und wenn das nur als Kultus zum Ausdruck kommt, ist es sehr schade. Da hängt es an der geistigen Führung, was sie projiziert. Wo immer Juden gemeinsame Zeit verbringen und dabei die richtige Kawana haben, also die richtige spirituelle Ausrichtung, dann ist das für mich jüdisches Leben. So wie das Gebet verschiedene Formen hat, nicht nur das geschriebene und das formelle.
Bislang waren Sie in einer Züricher Ge-
meinde tätig. Werden Sie vielleicht bald Gemeinderabbiner in der deutschen Hauptstadt?
ben-chorin: Auf eine Antwort darauf müssen sie noch etwas warten. Das ist in Verhandlung. Aber ich glaube, dass es Interesse auf beiden Seiten gibt.
Das Gespräch führte Detlef DavidKauschke.