von Jessica Jacoby
Die Geschichte hat bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren: Der ungarische Rechtsanwalt Rudolf Kasztner, Leiter der zionistischen Hilfsorganisation Vaad, verhandelte 1944 mit Adolf Eichmann, um totgeweihte Juden zu retten. Gegen Zahlung von 1.000 US-Dollar pro Kopf entgingen 1683 Verhaftete der »Endlösung«. Ein Zug brachte sie aus Bergen-Belsen in die neutrale Schweiz. Nach dem Krieg wanderte Kasztner nach Israel aus. Dort wurde ihm wegen Kollaboration mit den Nazis der Prozeß gemacht. Vorgeworfen wurde Kasztner neben seinen Kontakten zu Eichmann auch, daß er nach 1945 zugunsten des SS-Offiziers Walter Becher vor einem Kriegsverbrechertribunal ausgesagt hatte. Becher war einer von Kasztners Verhandlungspartnern in Budapest gewesen. Das Verfahren vor dem Obersten Gericht Israels endete mit Freispruch. Doch wenige Tage nach dem Urteil wurde Kasztner auf offener Straße niedergeschossen. Die Täter waren Angehörige der rechtsradikalen zionistischen Untergrundgruppe Lehi. Kasztner starb drei Tage später an den Folgen des Attentats.
Der Berliner Filmemacher Axel Brandt hat über den Fall Kasztner ein Dokudrama gedreht. Zug um Zug – Budapest 1944 hatte auf dem Münchener Dokumentarfilmfest im Mai 2005 Premiere und ist jetzt in den Programmkinos zu sehen. Brandt läßt einige der von Kasztner Geretteten in kurzen, Spannung erzeugenden Sequenzen die Ereignisse von 1944 erzählen, meist auf Hebräisch, manchmal auf Deutsch. Kasztners Tochter spricht als einzige Englisch. Sie ist auch die einzige, die auf den gesellschaftlichen und historischen Kontext seiner Ermordung eingeht. Leider verläßt sich der Regisseur nicht auf seine Protagonisten und auf zeitgenössische Aufnahmen, sondern verschränkt das dokumentarische Material mit Szenen aus einem Theaterstück über den Fall Kasztner, das 2003 von Elias Perrig in Stuttgart uraufgeführt wurde und das Kasztners Verhandlungen mit Eichmann und anderen Vertretern der SS nachspielt. Damit sollen die Zeitzeugenaussagen illustriert werden. Doch dieses ästhetische Mittel ist verbraucht und angestaubt: Der Eindruck ist der eines zum x-ten Mal wiederholten Fernsehspiels aus den 60er Jahren. Wenn schon Schauspielereinsatz, dann bitte auch konsequent in einem Spielfilm. So wirkt der Film bemüht, didaktisch und unentschlossen.
Brandt ist es deutlich um Kasztners moralische Rehabilitation zu tun – sicher ein ehrenwertes Anliegen. Doch dem eigentlichen Skandal, daß man einen Retter vor Gericht stellte, weil er nicht mehr gerettet hatte als einen Zug voller Menschen – dem wird dieser Film nicht gerecht. Ebensowenig der brisanten Tatsache, daß es politische Morde von Juden an Juden, die als »Verräter« betrachtet werden, in Israel auch schon vor Jitzhak Rabins gewaltsamem Ende gegeben hat.