Italien

»Juden raus«

von Gerhard Mumelter

Als Davide Sonnino Anfang vergangener Woche wie gewohnt sein Geschäft im Viale Libia öffnen wollte, versuchte er vergeblich, die Tür aufzuschließen. Das Schloss war mit Silikon verklebt. Wie Sonnino mussten sich an diesem Tag zahlreiche jüdische Kaufleute im Viertel zwischen Viale Libia und Piazza Bologna erst an Schlosser wenden, um ihre Läden zu öffnen. Zudem waren an Schaufenster und Wände Parolen geschmiert, die an unselige Zeiten erinnerten: »Juden raus« und »Boykottiert Israel« war da zu lesen.
Für die Aktion zeichnete die rechtsextreme Organisation »Militia« verantwortlich, die die Häuserwände der Hauptstadt seit Jahren mit antisemitischen Sprüchen beschmiert. Um deren Sichtbarkeit zu erhöhen, werden häufig bepinselte Papierrollen auf die Wände viel befahrener Unterführungen geklebt. In einem dieser aggressiven Slogans, die eine Länge bis zu 20 Metern erreichen, wurde kürzlich der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Roms, Riccardo Pacific, zu einer »Reise nach Auschwitz ohne Rückfahrkarte« aufgefordert. Nur wenige Tage zuvor hatte die kleine Handelsgewerkschaft »Flaica« dazu aufgerufen, die jüdischen Geschäfte in Rom zu boykottieren. Die Begründung: »Wir können die Ereignisse in Gasa nicht mit Schweigen übergehen.« Die Proteste gegen die Militäraktion in Gasa, bei denen mehrfach israelische Fahnen verbrannt wurden, heizen den Antisemitismus in Italien an. Nach einer am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, publizierten Umfrage der Corriere della Sera seien zwölf Prozent der Italiener antisemitisch – eine Statistik, die vom langjährigen Chefredakteur der Tageszeitung La Stampa, Arrigo Levi, als »irreführend« kritisiert wurde. Die Interpretation der Antworten sei »beschönigend« ausgefallen. So hätten 43 Prozent der Befragten versichert, das Thema berühre sie nicht. Nur zwölf Prozent hätten sich als »vorurteilsfrei« geoutet. Levis Schluss: »Nur zwölf von 100 Italienern sind keine Antisemiten«. Der jüngste Fall des rehabilitierten katholischen Bischofs Richard Williamson, der den Holocaust leugnet, sorgt für eine neue Welle der Empörung in Italien. Auch im Mutterland der katholischen Kirche stellen ultrakonservative Priester die Schoa in Frage. So erklärte der Geistliche Don Floriano Abrahamowicz in einem Interview mit der Zeitung »Tribuna di Treviso«, die Gaskammern hätten »zur Desinfektion« gedient. Ob es auch Opfer gegeben hat, wisse er nicht. Die Zahl von sechs Millionen Toten sei »den Alliierten nach Kriegsende von führenden deutschen Juden suggeriert worden«. Hätte Williamson den Völkermord an den Ar-
meniern geleugnet, wäre nichts passiert, erklärte der Priester.
Roms Oberrabbiner Riccardo di Segni überraschen solche Aussagen kaum. »Es gibt viele Priester, die ähnlich denken, ohne dass es in der Öffentlchkeit bekannt wird.« Der Antisemitismus in Teilen der katholischen Kirche sei eine Realität, versichert Di Segni, für den der Fall Williamson »nur die Spitze des Eisbergs« darstellt. Der Vatikan habe »Weisheit und Ausgewogenheit vermissen lassen«, meint der Rabbiner. Vom Papst wünscht er sich eine Geste der Versöhnung: »Einen Besuch in der römischen Synagoge. Ich habe ihn eingeladen, aber noch keine Antwort erhalten.«

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025

Weimar

Historiker Wagner sieht schwindendes Bewusstsein für NS-Verbrechen

Wagner betonte, wie wichtig es sei, sich im Alltag »gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Muslimfeindlichkeit und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu engagieren

 07.04.2025