Joseph Oppenheimer

Jud Süß in Göttingen

von Michael Caspar

Veit Harlan war ein Naziregisseur. Das jedenfalls befanden jene Studenten, die 1952 in Göttigen und in anderen Städten die Vorführung des Veit-Harlan-Films Hanna Amon zu sprengen versuchten. 1940 hatte Harlan mit dem Hetzfilm Jud Süß einen beachtlichen Publikumserfolg erzielt. Nach dem Krieg produzierte Harlan in Göttingen Liebesdramen.
Die zweifelhafte Karriere des Veit Harlan thematisiert jetzt die Ausstellung »,Jud Süß‹ – Geschichte(n) einer Figur«, die zur Zeit in Göttingens St.-Jacobi-Kirche zu sehen ist. Auf 19 Schautafeln verfolgen die Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnen Irene Aue, Miriam Hesse, Inga Hoolmans, Mona Kleine, Frauke Klinge und Ariadne Sondermann die Wandlungen des Bilds von Joseph Süß Oppenheimer, der 1698 in Heidelberg als Sohn einer vermögenden Familie zur Welt gekommen war. 1732 lernte er den württembergischen Prinzen Karl Alexander kennen, unter dem ihm als Hoffaktor eine beispiellose Karriere gelang. Viele deutsche Fürstenhäuser setzten im 17. und 18. Jahrhundert solche Finanziers ein, die die nach dem Dreißigjährigen Krieg darniederliegenden Staatshaushalte sanieren sollten.
Oppenheimer leitete, inspiriert vom merkantilen Wirtschaftsmodell des absolutistischen Frankreichs, einschneidende Reformen ein. Damit machte er sich die bisher tonangebenden Stände und Zünfte zu erbitterten Gegnern. Diese bedienten sich antijüdischer Ressentiments, um gegen den Geheimen Finanzrat Stimmung zu machen. Sie warfen Oppenheimer dessen Assimilation und amouröse Abenteuer mit Christinnen vor. Nach dem Tod des Herzogs sorgten sie für die Verhaftung des Geschäftsmannes und ließen ihn 1738 in Gegenwart von mehreren Tausend Zuschauern am Galgen hinrichten.
Wie antisemitisch aufgeladen die Figur Jud Süß bis heute ist, zeigt die Ausstellung. Eva Tichauer Moritz, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde für Göttingen und Südniedersachsen ist von der Ausstellung begeistert. »Als Lehrerin freue ich mich über die durchdachte Didaktik. Das Thema ist vorbildlich aufbereitet. Für ältere Schüler ist die Ausstellung gut geeignet, um sich mit dem Thema Antisemitismus auseinanderzusetzen.« Allerdings wünscht sie sich, daß es die Begleitzettel auch auf Russisch geben würde, damit auch den Zuwanderern aus der früheren Sowjetunion der Zugang erleichtert wird. Die historische Figur Oppenheimer nötige ihr Respekt ab, sagt Tichauer Moritz. »Mich hat beeindruckt, daß Oppenheimer im Gefängnis nicht versuchte, seinen Kopf durch den Übertritt zum Christentum zu retten. Im Gegenteil: In der Haft fand er zu seinen jüdischen Wurzeln zurück und bekannte sich zu ihnen.«
Harald Jüttner, Vorsitzender der liberalen Jüdischen Gemeinde Göttingen und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen, nahm an der Ausstellungseröffnung teil. »Ich begrüße es, daß sich Nichtjuden mit diesem Thema auseinandersetzen, denn gerade sie geht es an.«
Die Ausstellung befaßt sich auch mit den Versuchen der Ehrenrettung Oppenheimers. So hebt die Historikerin Selma Stern dessen fortschrittliche Wirtschaftspolitik hervor. Großen Erfolg erzielte Lion Feuchtwanger mit seinem 1925 erschienenen Roman Jud Süß, der 1934 in England verfilmt wurde. Das positive Bild ärgerte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Der sorgte für die Produktion des Harlan-Films, der gezielt vor Deportationen lief.
Heute sind Vorführungen des Films nur im Rahmen von Veranstaltungen zur NS-Geschichte erlaubt. Und selbst dann bleiben sie umstritten. Als der Film 2001 im Jüdischen Museum in Fürth gezeigt werden sollte, gab es vehemente Ablehnung. Der Publizist Ralph Giordano sprach vom »heimtückischsten Stück Antisemitismus«, das er kenne. Die Göttinger Schau dokumentiert den Film in Ausschnitten.
Die Ausstellung »,Jud Süß‹ – Geschichte(n) einer Figur« wird unter anderem von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen unterstützt. Nach dem 31. Juli soll sie auch in anderen Städten gezeigt werden. Nächste Station ist voraussichtlich Braunschweig.

www.jsoppenheimer-ausstellung.de

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Dezember bis zum 2. Januar

 23.12.2024

Debatte

Schweden stoppt Unterstützung von UNRWA

Hintergrund des Schrittes ist die Entscheidung Israels, der UNRWA wegen ihrer Verwirklichung in den palästinensischen Terror jegliche Tätigkeit auf israelischem Territorium zu untersagen

 20.12.2024

Kunst

Leitung der documenta 16 wird heute bekanntgegeben 

Wer wird die nächste documenta kuratieren? Die Findungskommission der für 2027 geplanten Schau will ihre Entscheidung jetzt bekanntgeben

von Nicole Schippers  17.12.2024

Nach Assad-Sturz

Libanesischer Politiker ruft Landsleute zur Rückkehr auf

Im von zahlreichen Krisen geplagten Libanon herrscht neue Zuversicht. Nach den Worten eines wichtigen Politikers ist die Weihnachtsfreude in diesem Jahr gar »doppelt so groß«

 17.12.2024

Berlin

Chanukka-Basar in der Synagoge Pestalozzistraße: Kuchen, koscherer Glühwein und ein Bühnenprogramm

Am Sonntag findet der Basar im Innenhof der Synagoge statt. Es gibt ein vielfältiges Bühnenprogramm. Auch die »The Swinging Hermlins« werden auftreten

von Christine Schmitt  13.12.2024

Thüringen

Mario Voigt mit Stimmen der Linken zum Ministerpräsident gewählt

Der CDU-Politiker brauchte nur einen Wahlgang

 12.12.2024

Antisemitismus

RIAS: AfD ist eine Gefahr für Juden in Deutschland

Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus präsentierte auch neue Zahlen zu antisemitischen Vorfällen

 11.12.2024

Amsterdam

Nach antisemitischer Hetzjagd: Haftstrafen für drei Angeklagte gefordert

Einen Monat nach den Übergriffen stehen nun sieben Menschen vor Gericht

 11.12.2024

Brandenburg

Antisemitismusbeauftragter fordert Priorisierung der Bildungsarbeit

Auch die Sicherheit jüdischer Einrichtungen und Menschen müsse gewährleistet werden, sagte Büttner

 10.12.2024