von Christine Schmitt
Angespannte Stille. Sieben Schüler sitzen an einem runden Tisch und warten darauf, daß sie endlich loslegen können. Denn Charlotte, Leah, Jana, Julia, Antonia, Vincent und Oskar arbeiten gerade eine Unterrichtsstunde aus, die sie selbst erteilen werden. Aus Anlaß des Tages des Gedenkens an die Opfer des nationalsozialistischen Massenmordes am 27. Januar werden die Schüler über ihre Denksteinmauer an der Staatlichen Fachschule für Sozial-pädagogik Berlin berichten.
»Wie beginnen wir denn, wenn wir den angehenden Erziehern und Studenten etwas über unser Denkmal erzählen wollen?« fragt die Leiterin der Löcknitz-Grundschule, Christa Niclasen, die sieben Sechst- kläßler. Als erster soll Vincent sein Thema vortragen. »Mehrere Schüler einer sechsten Klasse unserer Schule hatten vor zwölf Jahren die Idee, ein Denkmal für die ermordeten Juden zu bauen«, sagt Vincent. Die damalige sechste Klasse beschäftigte sich intensiv mit den Listen des Schöneberger Heimatmuseums, in denen mehr als 6.000 Namen ehemaliger Bewohner des Bezirks verzeichnet sind, die durch das Nazi-Regime umgebracht wurden.
»Jeder Schüler suchte sich aus diesen Listen den Namen eines jüdischen Mitbürgers heraus, dem er einen Stein widmen wollte«, fährt Vincent fort. So entstand die Denksteinmauer auf dem Schulhof.
In welcher Straße wohnt denn beispielsweise Antonia, will die Lehrerin wissen, während sie einen Aktenordner aufschlägt. Sie lebte in der Bozener Straße, wo mit ihr früher um die 50 Juden zu Hause waren. »Auch in deiner Wohnung könnten damals Menschen jüdischen Glaubens gewohnt haben«, betont die Lehrerin. Die Schüler werden nachdenklich. »Warum ist unsere Schule überhaupt auf so eine Idee gekommen?« fragt Christa Niclasen. »Auf dem Schulhof hat früher einmal eine Synagoge gestanden«, so Vincent. Ein offizielles Bezirksdenkmal weist auf den Platz des 1910 eingeweihten und im Krieg zerstörten Gotteshauses hin.
»Was ist denn dann weiter mit unserer Denksteinmauer passiert?« hakt die Lehrerin nach. Antonia übernimmt diesen Part. Etwas unsicher berichtet sie, wie im Sommer 1997 die ersten Steine für die Mauer aufgeschichtet wurden. Jedes Jahr kommen nun Steine hinzu. An der Zeremonie nehmen neben den Schülern, Eltern und Lehrern auch Bezirkspolitiker und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde teil.
Antonia möchte über die jüdische Familie Hochdorf berichten, die zwei Söhne, Eli und Martin, hatte. An der Münchener Straße haben sie früher gewohnt. »Und sie waren Schüler unserer Schule.« Bereits Ende der 20er Jahre hatte die Mutter für ihre Kinder gefälschte Papiere besorgt und den einen Sohn nach Palästina, den anderen in die USA geschickt. Die Mutter starb kurz darauf. »Nach 60 Jahren haben sich die Brüder zum ersten Mal wiedergesehen, als sie zur Denksteinniederlegung unserer Schule kamen«, erzählt Christa Niclasen. Die Brüder besuchten damals das Grab ihrer Mutter auf dem Friedhof Weißensee. Außerdem erfuhren sie, daß ihr Vater 1941 auf der Flucht aus Dachau umgekommen ist.
»Bezieht eure Zuhörer ruhig mit ein und fragt die mal etwas«, gibt die Lehrerin noch einen letzten Rat. »Wir wollten unbedingt beim Gedenktag mitmachen«, sagen Leah und Charlotte. Beide haben viel über die Nazizeit gelesen. Und Christa Niclasen weiß, daß die Kinder an diesem Tag immer über sich hinauswachsen.