von Hans-Ulrich Dillmann
Mit Empörung hat die jüdische Gemeinschaft in Caracas auf die Abberufung des venezolanischen Botschafters aus Israel reagiert. Die öffentliche Anschuldigung des Staatspräsidenten Hugo Chávez, Israel begehe an Libanesen und Palästinensern Völkermord, »weisen wir kategorisch als Banalisierung des Holocaust zurück«, sagt Freddy Pressner, der Präsident der Confederación de Asociaciones Israelitas de Venezuela (CAIV), der offiziellen Vertretung der venezolanischen Juden. »Der Vergleich ist inakzeptabel.« Bereits einen Tag nach der Erklärung von Chávez hatte die CAIV die Abberufung des Diplomaten als einen Versuch bezeichnet, die Nahost-Konflikt nach Venezuela zu verlegen. Sie gingen einher mit antisemitischen Äußerungen in bestimmten offiziellen und offiziösen Medien, die sich als antizionistisch maskierten.
Anfang August hatte Hugo Chávez, während eines Festaktes auf einer Marinebasis öffentlich die Abberufung des diplomatischen Vertreters aus Jerusalem verkündet. Er habe den Missionsleiter Héctor Quintero aus Protest gegen den »Holocaust Israels im Libanon« nach Caracas zurückbeordert, sagte der ehemalige Oberst unter dem Beifall der anwesenden Marinesoldaten. Es sei »empörend mit anzusehen, wie Israel weiterhin mit Hilfe amerikanischer Flugzeuge unschuldige Menschen mißhandle, bombardiere und massakriere«. Inzwischen hat auch Israel seinen Botschafter zu Konsultationen aus Caracas abgezogen. Wenige Tage später sagte Hugo Chávez in seinem sonntäglichen Fernsehprogramm »Aló Presidente«: »Israel spielt verrückt. Sie tun der palästinensischen und libanesischen Bevölkerung genau das an, was sie – zu Recht – kritisiert haben.«
Das Verhältnis zwischen der linkspopulistischen Regierung von Chávez und der jüdischen Gemeinschaft mit ihren rund 15. 000 Mitgliedern ist seit dessen Amtsantritt vor sieben Jahren immer wieder spannungsgeladen gewesen. Sein Feldzug gegen die Armut und das Analphabetentum, der ihm in der breiten Bevölkerung viel Unterstützung eingebracht hat, bedient sich nicht nur Äußerungen gegen »Ausbeuter und Unterdrücker«, sondern auch »antisemitischer Untertöne«. Der Verstoß von Gewerbetreibende und Kleinunternehmer gegen ihre steuerlichen Abgabenpflichten – eine in Lateinamerika durchaus übliche Praxis – und Aktionen gegen diese Steuersünder sahen nicht wenige jüdische Händler im Zusammenhang mit ihrer Religionszugehörigkeit.
Im Dezember des vergangenen Jahres wurde das Verhältnis zwischen dem oft polternden Staatschef und der Gemeinde erneut auf die Probe gestellt, als Chávez sagte: »Die Welt hat genug für alle, aber einige Minderheiten, die Nachkommen derselben, die Christus kreuzigten, die Nachkommen derer, die den General der antikolonialen Truppen Simón Bolívar von hier vertrieben und ihn auf ihre Weise in Santa Marta in Kolumbien kreuzigten, diese Minderheiten eignen sich die Reichtümer der Welt an.«
Proteste des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Buenos Aires gegen die Chávez-Äußerungen wies jedoch der Bund der Israelitischen Verbände (CAIV) zurück. Die Gemeinde fühle sich politisch mißbraucht, übergangen und fürchte Schaden für unsere Arbeit, beklagte Freddy Pressner. Die Rede von Chávez habe man nicht als antisemitisch aufgefaßt, betonte Pressner damals im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Das Stephen-Roth-Institut der Universität Tel Aviv hat in einem Länderreport zu Venezuela von Angriffen auf jüdische Einrichtungen berichtet, zu denen es während Protesten gegen den Irak-Krieg im März 2003 in Caracas gekommen sei. In den Medien ziehe sich antisemitische Rhetorik quer durch die politischen Lager.
Der Bund der Israelitischen Verbände habe die Regierung immer wieder darauf hingewiesen, daß es in offiziellen und offiziösen Medien »antisemitische Äußerungen« gebe, sagt Pressner. Allerdings habe sich der venezolanische Staatspräsident niemals respektlos gegenüber der jüdischen Gemeinschaft des Landes geäußert. Bei Treffen mit ihm, habe die Gemeinschaft ihre Beschwerden vorgebracht. Erst vor zwei Wochen hatte sich das Präsidium des Bundes der Israelitischen Verbände (CAIV) mit dem Vizepräsidenten José Vicente Rangel getroffen, um ihm eine Dokumentation von antisemitischen Angriffen gegen die jüdische Gemeinschaft in venezolanischen Zeitungen zu übergeben, die der »Regierung der bolivaristischen Revolution« nahe stehen. Gleichzeitig habe man einen Vorschlag unterbreitet, antisemitische Äußerungen im Rahmen eines Antidiskriminierungsgesetzes zu bestrafen.
Die jüdische Gemeinschaft hat sich derweil während einer Veranstaltung im Gemeindezentrum im Stadtteil San Bernardino von Caracas einmütig mit Israel soli-
darisiert. CAIV-Präsident Freddy Pressner betonte in seiner Rede, daß die Juden Venezuelas Israel unterstützen. »Wir sind Zionisten. Mehr als jemals zuvor stehen wir in der Stunde der Not an der Seite des Staates Israel.«