amos gitai

»Israel hält meine Kritik aus«

Amos Gitai, in Ihrem neuen Film »Plus tard tu comprendras« (Später wirst Du verstehen) mit Jeanne Moreau nach dem Buch von Jérome Clément geht es um europäisch-jüdische Identität und die Schoa. Was interessierte Sie so an diesem Stoff?
Das Buch von Clément war ehrlich und stark. Der Ausgangspunkt war, dass sein Vater 1941 an die französische Polizei schrieb, er sei »arisch«, aber seine Frau jüdisch. Dieser Brief brachte Jérome dazu, sich auf die Suche nach seiner eigenen Geschichte zu begeben. Es geht in diesem Film um das, was man im Französischen das »Non-Dit« das »nicht Ausgesprochene« nennt.

Sie wollten die Schoa nicht direkt thematisieren?
Die meisten Geschichten über den Holocaust drehen sich darum, was gesagt werden wird oder sollte. Ich beschloss einen Film zu drehen, über das, was nicht ausgesprochen wird. Das ist – seltsamerweise – für mich effektiver. Wenn man etwas weitererzählt, wird es oft didaktisch oder indoktrinierend. Wenn aber die nächste Generation die Möglichkeit erhält, selbst zu recherchieren, zu suchen, dann ist das ein offenes Angebot.

Die meisten Ihrer Filme, zuletzt »Disengagement« 2007, greifen die Probleme Israels mit seinen Nachbarn und mit sich selbst auf. Warum immer wieder dieses Thema?
Ich bin Filmemacher, aber auch Bürger, und es bricht mir das Herz, dass dieser Konflikt nicht endet, dass eine Koexistenz nicht gefunden wird. Die einzige gute Nachricht im großen Ozean der schlechten Nachrichten ist, dass die Israelis und die Palästinenser sich endlich bewusst geworden sind, dass der andere existiert. Vor 30 Jahren, als ich begann, Filme zu machen, gab es eine völlige Verleugnung der jeweils anderen Seite. Was aber immer noch fehlt, ist eine politische Leitfigur und der politische Wille, eine Lösung zu finden.

In der Reihung wirken Ihre Filme fast wie eine Chronik des Landes. In »Eden« ging es 2001 um die Zeit bis zur Unabhängigkeit, »Kedma« 2002 zeigte den Kampf für einen eigenen Staat und »Kippur« zwei Jahre zuvor thematisierte den Krieg von 1973. »Disengagement« führt diese Beobachtungen fort. Wird das ein Zyklus?
Es wird langsam aber sicher ein Puzzle, eine Anzahl von mikrokosmischen Situationen. Das Problem im Nahen Osten liegt in den Verallgemeinerungen. Damit hat man enorm viel Schaden angerichtet. Israelis und Palästinenser erschaffen wie in einer seltsamen Koproduktion stark simplifizierende Bilder. Kino kann da komplexere Geschichten anbieten und zwiespältige, nachdenkliche Eindrücke vermitteln.

Was nicht immer nur auf Begeisterung stößt. In Israel waren Ihre Filme wegen angeblich pro-palästinensischer Haltung oft umstritten.
Ein Regisseur kann seinem Land insofern die Ehre erweisen, indem er starke und kritische Filme über seine Heimat dreht. Mein Land hält diese Kritik aus, auch wenn man dort nicht immer begeistert auf meine Filme reagiert. Diese Region mit Ihren Geschichten im Angesicht des Sturmes erzeugt eine Neugier und so möchten viele Menschen gegensätzliche Meinungen hören, nicht immer nur den offiziellen Standpunkt.

Sprechen wir von Ihnen. Ihr Vater war Architekt, Sie selbst haben auch ursprünglich Architektur studiert. Beeinflusst dieser Hintergrund Ihre filmische Arbeit ?
Mein Vater war Bauhaus-Schüler und hatte für Mies van der Rohe gearbeitet. Er kam aus einer stark modernistischen Tradition mit viel Sinn für Form. Das hat mich durchaus beeinflusst. Meine Mutter war eine großartige Geschichtenerzählerin. Sie stammte aus der Generation der ersten jüdischen Pioniere, die nach Palästina kam. Von ihr habe ich das Narrative. Mein zehn Jahre älterer Bruder war ein sehr politischer Fotograf. Ich als der Jüngste war umgeben von diesen drei sehr starken Charakteren. Meine Arbeit ist wie eine Synthese. Ich mache jedoch etwas anderes: Ich folge nicht der Form der Bauhaus-Schule, stehe auch nicht für das Vermächtnis des Landes, und bin nicht so offen politisch. Aber ich rebelliere auch nicht gegen meinen Vater, gegen seine Auffassungen. Die waren ziemlich cool und patent.
Ihr Vater stammt ursprünglich aus Schlesien. Wie war seine Einstellung zu Deutschland nach der Schoa?
Komplex. Es war seine Kultur. Er sprach zu Hause Deutsch. Er dachte auch gerne an seine Bauhaus-Jahre zurück. Aber er wollte kein Geld zur »Wiedergutmachung« von den Deutschen annehmen, und er kaufte kein deutsches Auto. Er wollte mit diesen ganzen Geldgeschichten nichts zu tun haben. Aber er boykottierte Deutschland auch nicht. Als Israel von der Bundesrepublik Schiffe erhielt und ein Architekt benötigt wurde,um sie umzubauen, nahm er diesen Auftrag an.

Wird Amos Gitai auch einmal etwas anderes drehen, einen Genrefilm vielleicht, der mit Israel oder jüdischen Themen nichts zu tun hat?
Darüber muss ich mal mit Amos Gitai reden. Aber ich denke, er ist vorläufig ganz zufrieden mit den Filmen, die er dreht, die Fragen aufwerfen und Leute berühren sowie verstören.

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025

Berlin

Kreise: Union will Gesetz doch zur Abstimmung stellen

Hinter verschlossenen Türen wurde in den Unionsparteien viel über das »Zustrombegrenzungsgesetz« gesprochen. Nun gibt es laut Teilnehmern eine Entscheidung

 31.01.2025

Kommentar

Der stumme Schrei der Arbel Yehoud

Die Israelin wurde am Donnerstag von den Hamas-Terroristen endlich freigelassen. Die junge Frau muss unvorstellbare Qualen ausgestanden haben

von Nicole Dreyfus  31.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 30. Januar bis zum 5. Februar

 30.01.2025

Österreich

»Gegen Antisemitismus und Antizionismus aufstehen«

Der Bundeskanzler, dessen ÖVP Koalitionsgespräche mit der rechtsextremen FPÖ führt, sagt, weder Hass noch Ausgrenzung dürfe Platz geboten werden

 27.01.2025

Irland

Eklat mit Ansage beim Holocaust-Gedenken

Nach seinem Exkurs zum Gaza-Krieg bei der Gedenkfeier in Dublin hagelt es scharfe Kritik am irischen Staatspräsidenten

von Michael Thaidigsmann  27.01.2025

Berlin

Scholz zu Auschwitz-Gedenken: Müssen Erinnerung hochhalten

Am 80. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers wird der Opfer des NS-Terrors gedacht. Viele Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben

 27.01.2025

Gedenken

Mehr Menschen sollen sich Auschwitz anschauen

Wer einmal dort war, stelle sich die Frage, warum die Erinnerung wachgehalten werden muss, nicht, so Zentralratspräsident Schuster

 26.01.2025

Geisel-Abkommen

Scholz: Es müssen weitere Geiseln freikommen

Noch immer sind auch deutsche Staatsbürger in der Gewalt der Hamas

 25.01.2025