Einer, der dabei war, beschreibt die Szene in der Wiener Atomkontrollbehörde IAEA im Frühjahr 2008 so: »Es hat El-Baradei sehr viel Mühe gekostet, nicht die Beherrschung zu verlieren«, sagt er über den IAEA-Generaldirektor, »er bebte vor mühsam unterdrückter Wut«. Mohammed El-Baradeis Ärger galt seinem Stellvertreter, Olli Heinonen. Der hatte gerade vor Experten und Diplomaten über Irans Atompläne gesprochen. Nämlich Klartext.
»Heinonen hat an keiner Stelle wörtlich gesagt, dass der Iran die Bombe baut«, erinnert sich ein Diplomat. »Aber jedem im Raum war klar, dass er genau davon überzeugt ist. Alles, was er damals präsentiert hat, ließ nur diesen einen Schluss zu.«
zwei bomben Mohammed El-Baradei hingegen erzählt seit Jahr und Tag Abwiegelndes über Teherans Atomprogramm. Auch aus dem Kreis seiner Inspekteure sind schon seit Jahren Klagen über seinen Schmusekurs zu hören.
Chris Charlier aus Belgien, der ehemalige Leiter des IAEA-Inspektionsteams im Iran, war schon im Sommer 2006 überaus deutlich geworden. »Ich glaube, dass die Iraner ihr Nuklearprogramm und ihre wahren Aktivitäten vor uns verstecken.« Teheran baue an der Bombe, so Charlier. Auf Drängen Teherans wurde der Belgier abkommandiert.
Jetzt werden Heinonens und Charliers Aussagen von Berichten und Dokumenten deutscher, britischer und französischer Geheimdienste gestützt: Ende September wurde bekannt, dass der Iran seit Jahren nordöstlich der heiligen Stadt Ghom eine geheime unterirdische Urananreicherungsanlage baut. Zu klein für zivile Zwecke, aber groß genug, um klandestin waffenfähiges Uran für zwei Bomben pro Jahr zu produzieren. »Der Iran ist schon seit Jahren in der Lage, moderne Uranzentrifugen selbst zu produzieren«, bestätigt ein Wiener Inspekteur. »Sie können nun weitaus schneller anreichern. Bis hin zum waffenfähigen Uran.«
agent general 2006 kamen die ersten Informationen über die geheim gehaltene Anlage: 2003 hatte sich nämlich der damalige stellvertretende Verteidigungsminister des Irans, Ali Reza Asghari, von einem fremden Geheimdienst anwerben lassen. Er glaubte, er liefere dem britischen MI-6 Topgeheimnisse. In Wirklichkeit aber hatte ihn der israelische Geheimdienst rekrutiert. Nachdem man in Teheran Verdacht geschöpft hatte, tauchte Asghari im Februar 2007 ab.
»Der Mann war eine Schatztruhe«, schwärmt noch heute ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter. Kein Wunder, Asghari verfügte als General der Revolutionären Garden und als stellvertretender Vertei- digungsminister über Insiderwissen. Nicht so viel Glück hatte ein anderer Iraner. Der Bundesnachrichtendienst hatte ihn rekrutiert. Der Mann flog auf, wurde verhaftet und exekutiert. Vor seiner Verhaftung ko-
pierte er jedoch das gesamte Material auf elektronische Datenträger, die seine Frau aus dem Land schmuggelte. Die USA zo-
gen eine Kopie und reichten die Dokumente, Testdaten, Videoaufnahmen und nuklearwissenschaftlichen Versuchsreihen 2005 nach Wien weiter. »Es ist unmöglich, das alles zu fälschen«, meint ein mit der Materie befasster Fachmann, »das ist echt«.
geheimbericht In einem 67-seitigen Papier mit dem Titel »Mögliche militärische Dimensionen von Irans Nuklearprogramm« der IAEA werden diese und weitere Informationen nun zusammengefasst und ausgewertet. »Noch vorläufig und nicht offiziell« sei die Analyse, sagt ein Inspekteur der IAEA. Dennoch ist ihre Botschaft eindeutig: Das Atomprogramm des Irans ist in allen wesentlichen Teilen weiter, als bisher angenommen wurde. Und als Europa bislang zu glauben bereit ist. Während IAEA-Chef El-Baradei die Arbeit seiner Leute leugnet, gibt es schon über den Bericht hinausweisende Informationen. »So spannend die Lektüre auch ist«, meint ein Diplomat in Wien, »viel spannender ist das, was nicht darin zu finden ist: zum Beispiel die Frage nach bis jetzt geheim gehaltenen nuklearen Anlagen. Wir haben mehr als nur harte Hinweise darauf, dass es an anderen Orten im Iran weitere Urananreicherungsanlagen gibt.«
David Albright, früher Waffeninspekteur der UNO und heute Leiter des Institute for Science and International Security (ISIS) in Washington, geht davon aus, dass der Iran binnen sechs Monaten technisch in der Lage ist, Uran für mindestens zwei nukleare Gefechtsköpfe hoch anzureichern. »Wer die Probleme der niedrigen Anreicherung von Uran im Griff hat, der kann Uran auch ohne jede Probleme hoch anreichern«, erklärt Albright lapidar. »Das Waffendesign haben sie, die Trägersysteme werden sie auch bald haben.« Bis heute, davon geht Albright aus, haben die Machthaber in Teheran diese politische Entscheidung noch nicht getroffen.
russische informationen Sogar der Sonderberater des russischen Premierministers Wladimir Putin, Generalmajor Wladimir Dworkin, warnt vor der Unterschätzung des Raketenprogramms. »Iran hat die veralteten Raketentechnologien längst hinter sich und produziert selbstständig effiziente Raketenrüstungen«, sagte Dworkin am Rande einer Sitzung des »Luxemburger Forums für die Abwendung einer Atomkatastrophe«.
Dworkins Informationen werden auch von dem Münchner Raketenexperten Robert Schmucker bestätigt. »Das Shahab-3-Raketensystem des Irans ist ebenso wie die Shahab-4-Raketen für nur einen Zweck ausgelegt: nukleare Gefechtsköpfe zu transportieren.« Außerdem bestätigt Schmucker, was schon aus BND-Kreisen zu hören war: 2001 hat der Iran zwölf Raduga KH-55-Raketen gekauft. Die haben eine Reichweite von bis zu 3.000 Kilometern und sind einzig zum Transport von Massenvernichtungswaffen konzipiert. Damit liegt nicht nur Israel, sondern auch Europa schon heute in der Reichweite iranischer Raketen.
Wie weit man im Iran ist, wird dort sogar öffentlich beantwortet: Im zweiten Kanal des iranischen Fernsehens sagte Mohammad Javad Larijani, ein Berater des Obersten Führers Ayatollah Ali Chamenei, schon im Jahr 2005: »Mit Blick auf unsere Verteidigungsstrategie macht es absolut keinen Sinn, dass der Feind Atomwaffen besitzt, wir aber auf Atomwaffen verzichten.« Zwei Jahre später erklärte Larijani im ersten Fernsehprogramm: »Der Atomwaffensperrvertrag ist tot!« und konkretisierte, was in Europa niemand hören mag: »Der Streit zwischen dem Iran und dem Westen dreht sich um die Herstellung von Atomwaffen. Nicht um die Frage des Nuklearen Brennstoffkreislaufes. Wir haben mit den Europäern um die Frage des niedrig angereicherten Uran diskutiert, obwohl wir natürlich hoch angereichertes Uran brauchen.« Wofür, das sagt Larijani auch, und zwar ganz offen: »Wir haben das Recht, uns nuklear zu verteidigen.«