von Hans-Jürgen Massaquoi
Was für ein wunderbarer Moment, meinem guten Freund Ralph Giordano meine Hochachtung zu bezeugen. Bereits seit 75 Jahren habe ich das Vergnügen, Ralph zu kennen, und ich freue mich, ihn zum Anlass seines 85. Geburtstags zu grüßen und ihm von ganzem Herzen zu einem gut gelebten Leben zu gratulieren. Ich sende meine besten Wünsche für gute Ge- sundheit, Seelenfrieden und weiteren Erfolg für die kommenden Jahre.
Unsere Bekanntschaft begann mit einer flüchtigen Begegnung. Wir waren Kinder und verteidigten während einer Kloppe, eines Bandenkriegs, in unserem Viertel unser jeweiliges Revier. Diese Scheinkriege waren in den frühen 30er-Jahren für Jungen in unserem Alter eine harmlose Weise, unserer Freundschaft einen Rahmen zu geben; sie sollten nicht mit dem Treiben heutiger Straßengangs verwechselt werden. Ralph wohnte in einer Straße, die beschlossen hatte, mit den Jungs in meiner Straße eine Rauferei auszutragen. Wie Ralph in seinem Bestsellerroman Die Bertinis schildert, erinnert er sich deutlich daran, dass wir uns in die Augen guckten und aus unerfindlichen Gründen zu dem Entschluss kamen, den Angriff abzublasen. Irgendwie muss ich auf ihn einen nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Seither war er mir über all die Jahre hinweg ein hilfsbereiter und guter Freund.
Nach unserer ersten kurzen Begegnung vergingen einige Jahre, bevor wir uns wieder trafen. Der Krieg hatte begonnen, und wir waren Teenager. Gelegentlich kreuzten sich unsere Wege, da wir beide unseren Barmbeker Lieblingstreff, das Café König, frequentierten, wo wir unserer Missachtung des Naziverbots von Jazz und langen Haaren für Jungs heimlich Ausdruck verliehen. Diejenigen, die mein Buch Neger, Neger, Schornsteinfeger gelesen haben, erinnern sich vielleicht, dass es eine zufällige Begegnung mit Ralphs Bruder Egon war, die mich wieder mit der Giordano-Familie zusammenführte. Ralph vertraute mir an, dass die Familie plante, das Ende des Kriegs im Versteck abzuwarten; die Giordanos drängten meine Mutter und mich, mit ihnen zu gehen, damit nicht auch wir der »Endlösung« zum Opfer fielen. Meine Mutter und ich wogen das Für und Wider eines solchen Schritts ab, beschlossen dann aber zu bleiben, wo wir waren, und trotz allem die Hoffnung nicht zu verlieren, dass die britische Armee uns retten würde, bevor es zu spät war.
Irgendwie ging die Sache gut aus. Erstaunlicherweise haben wir beide und die, die uns nahestanden, überlebt: ich, der Sohn eines afrikanischen Vaters, und Ralph, der Sohn einer jüdischen Mutter. So unglaublich es einem vorkommt, wir hatten es, entgegen jeder Wahrscheinlichkeit, geschafft zu überleben. Wir entgingen der Vernichtung im Holocaust der Nazis, und kamen heil davon, als die Alliier- ten Hamburg bombardierten und unsere Heimatstadt beinahe gänzlich zerstörten.
Ich schulde Ralph viel, vor allem mein Verständnis für das, was der Rassismus der Nazis bedeutete. Er und seine Familie waren die Ersten, durch die mir klar wurde, dass ich der Wucht des nazistischen Rassenhasses nicht allein gegenüberstand. Bis ich Ralph kennenlernte, hatte ich nie mit einem Menschen gesprochen, den die Nazis genauso wie mich für die endgültige Vernichtung vorgesehen hatten.
1948 verließ ich Deutschland und ging nach Afrika; zwei Jahre später landete ich in den Vereinigten Staaten. Obwohl wir in den ersten Jahren nach meiner Auswanderung nicht in Kontakt standen, hatten wir uns beide für den Journalismus als Beruf entschieden. In meiner Bibliothek zu Hause ist ein ganzes Regal Ralphs Büchern gewidmet. Die Bandbreite, die sie abdecken, ist eindrucksvoll: von der Beschäftigung mit politischen Themen, über die Erkundung seines geliebten Sizilien bis hin zu einer Abhandlung über den Wombat. Seine Fernsehkarriere habe ich, da wir auf verschiedenen Kontinenten lebten, zum großen Teil verpasst; ich weiß aber, dass sein Publikum von seiner scharfen Intelligenz und seiner furchtlosen Durchdringung von Geschichten, die anderen zu heiß waren, profitierte.
Es kommt nicht oft vor, dass einer in unserer Mitte weilt, der es wagt, Integrität zu wahren, selbst unter Todesdrohungen. Ich bin stolz auf meinen Freund Ralph, den unerschrockenen Gegner neonazistischer Dummheit und unermüdlichen Kämpfer für die jüdische Gleichberechtigung in Deutschland. Dankbar bin ich dafür, dass Ralph einer der Freunde war, die mich in all den Jahren ermutigt haben, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Es ist ihm mit zu verdanken, dass mein erstes Buch auf den Weg kam. Es wird mich stets mit tiefer Dankbarkeit erfüllen, dass er in der Zeit, als es erschien, und später, als die Filmversion in die Kinos kam, felsenfest an meiner Seite stand.
So grüße ich meinen lebenslangen Freund Ralph Giordano mit viel Liebe und Achtung. Meine Frau Katharine und ich bedauern, dass wir ihn nicht fest umarmen und ihm unsere Geburtstagsgrüße persönlich überbringen können. Doch wir wissen, dass wir über die weite Entfernung hinweg im Geist einander verbunden bleiben. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Ralph!