von Constanze Baumgart
Sie haben es schwer. Die Lehrer für jüdische Religion müssen sich ihr Unterrichtsmaterial selbst zusammensuchen, denn deutschsprachige Lehrbücher gibt es nicht. »Es ist ein riesiger Aufwand, die Unterrichtseinheiten zu gestalten. Es wäre eine große Hilfe, wenn wir Material an die Hand bekommen würden«, wünscht sich Nurith Schönfeld-Amar. Als Religionslehrerin unterrichtet sie in Köln Schüler von der ersten bis zur 13. Klasse. Die junge Frau, die demnächst als Fachleiterin für die judaistischen Fächer ans Frankfurter Philanthropin wechseln wird, ist für den gesamten Regierungsbezirk Köln zuständig. Der Unterricht findet überwiegend in den Schulräumen der Synaogen-Gemeinde statt. Zur Zeit unterrichtet sie außerdem einmal in der Woche eine rund 15köpfige Oberstufen-Gruppe an einem Kölner Gymnasium. Das ist eine vergleichsweise komfortable Situation. Einige ihrer Kollegen betreuen mehrere kleinere Gemeinden und müssen »tingeln«. Um ihre Schüler zu erreichen, nehmen sie lange Fahrten in Kauf.
Wer sich in Deutschland entschließt, als Lehrer für Jüdische Religionslehre zu arbeiten, hat mit einer Reihe von Widrigkeiten zu kämpfen. Das Fehlen eines Lehrbuchs und damit einer allgemein verbind- lichen und qualitätssichernden Basis für den jüdischen Religionsunterricht steht dabei ganz oben auf der Liste. Hinzu kommt, daß es nur in wenigen Bundesländern einen Lehrplan für das Fach gibt. Ordentliches Unterrichtsfach ist Jüdische Religionslehre immerhin in sieben Bundesländern. Nordrhein-Westfalen glänzt als Solitär: Es verfügt nicht nur über einen Lehrplan, sondern ist außerdem das einzige Bundesland mit einem geregelten Curriculum für das Fach Hebräisch. Auch ein Fortbildungsinstitut für jüdische Religionslehrer gibt es (noch) nicht. Bei der Lehrerausbildung hat sich allerdings vor einigen Jahren das Blatt gewendet: Als erste und einzige Einrichtung bietet die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg seit 2001 den Studiengang »Jüdische Religionslehre« mit dem Abschluß Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien an. Die erste Absolventin arbeitet zur Zeit als Referendarin.
Um dem Umstand des Einzelkämpfertums in Sachen Unterrichtsvorbereitung abzuhelfen und die Dinge weiter voranzutreiben, haben sich jetzt jüdische Religionslehrer aus ganz Nordrhein-Westfalen in Köln zum dritten Mal zu einer eintägigen Fortbildung getroffen. Diese »Initiative von unten« entstand vor rund anderthalb Jahren. Ins Leben gerufen hat sie Efraim Yahoud-Desel, der Religionslehrer und Kantor der Münsteraner Gemeinde. Ziel der Initiative war, wie Yehoud-Desel es formuliert, »die Einsamkeit des jüdischen Religionslehrers« zu beenden. Auf dem Programm standen schon beim ersten Treffen die Präsentation neuer Unterrichtsmaterialien ebenso wie Fragen der Didaktik und Methoden.
Nach Veranstaltungen in Münster und Düsseldorf war diesmal die Kölner Synagogen-Gemeinde Gastgeberin. Ganz oben auf der Tagesordnung stand die Beschäftigung mit den Unterrichtsinhalten und Lehrplänen. Diskutiert wurden im Gemeindehaus in der Roonstraße unter anderem Themen wie die Verknüpfung jüdischer Religion mit jüdischer Geschichte. Sprechen Schüler und Lehrer zum Beispiel über Moses Mendelssohn und die Haskala, die jüdische Aufklärung, dann gehen Religion, Religionsgeschichte, jüdische und allgemeine Geschichte unauflöslich Hand in Hand. Auch über die Frage, ob und in welcher Form Kenntnisse über andere Religionen, vor allem über Christentum und Islam, vermittelt werden sollen, debattierten die Lehrer. Daneben sind die hebräischen Sprachkenntnisse eine besondere Herausforderung für Lehrer und Schüler. Ziel ist eigentlich, daß die Schüler in der gymnasialen Oberstufe einen hebräischen Text im Original lesen können und nicht auf Übersetzungen angewiesen sind. Die Realität sehe jedoch ganz anders aus, sagt der Kölner Hebräischlehrer Ulrich Berzbach. »Mehr als 80 Prozent der Oberstufenschüler können nicht einmal die hebräischen Buchstaben lesen.«
Ihr Engagement in den Fortbildungen sehen die Lehrer und Lehrerinnen auch als wichtige Vorarbeiten, um das Traumziel eines einheitlichen Lehrbuchs zu verwirklichen und so auch wieder anzuknüpfen an etwas, das einst in Deutschland selbstverständlich war. »Das Schwierige ist der Bruch durch den Holocaust. In der Zeit vorher gab es ausreichend Lehrmaterialien, die in Deutschland entwickelt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es aber so, daß die Gemeinden sich ja selbst erst mal nicht als dauerhaft verstanden und deshalb auch keine pädagogischen Institutionen gründeten. So kamen auch die meisten Lehrmittel aus dem Ausland und wurden ins Deutsche übersetzt«, erläutert Jonathan Grünfeld, der als Lehrer an der Religionsschule der Düsseldorfer Gemeinde arbeitet.
Das könnte vielleicht in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören. Die Hochschule für Jüdische Studien, die in der Trägerschaft des Zentralrats der Juden in Deutschland steht, hat sich jetzt des Gesamtpakets »Jüdischer Religionsunterricht« angenommen. Im Januar fand in Heidelberg die erste Kultusbeauftragtenkonferenz (KBK) des Zentralrats statt. Die mit Religionslehrern, Rabbinern und Hochschullehrern, Vertretern von Landesverbänden und Gemeinden hochkarätig besetzte Konferenz, die nun eine ständige Einrichtung sein soll, rief mit einer Schulbuch-, einer Lehrplan- und einer Lehrerbildungskommission drei Fachkommissionen ins Leben. Wenn es wohl auch noch geraume Zeit dauern wird, bis die Früchte dieser Arbeit Lehrern und Schülern zugute kommen, ist mit der Gründung der KBK und ihrer Kommissionen doch eine grundsätzliche politische und pädagogische Entscheidung getroffen worden.
Die private israelische Initiative Mibereshit – The Foundation for Jewish Renaissance –hat neue Materialien zur Vermittlung jüdischen Wissens entwickelt. Die bunten, abwechslungsreich gestalteten Bogen richten sich an Kinder im Alter von sechs bis zwölf, ihre Eltern und Lehrer. Sie erscheinen wöchentlich, sind ausgerichtet an den Wochenabschnitten und erzählen in Comics, Geschichten und Bildern kindgerecht über jü- dische Religion und Geschichte. In Deutschland werden die Hefte ab Herbst über das Jugendreferat der Zentralwohlfahrtstelle in Frankfurt am Main erhältlich sein.
www.zwst-mibereshit.de