von Harald Loch
Indien war dieses Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse. Ein Riesenland mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern wie die Europäische Union und 24 anerkannten Literatursprachen. Auf der Suche nach einem deutschen Wörterbuch für eine dieser vielen Sprachen wird man bei Langenscheidt nicht fündig. Aus exotischem Interesse will ich wissen, ob es vielleicht ein Wörterbuch Hindi-Iwrit gibt. Dazu muß ich erst einmal eine kleine Reise unternehmen. Die wichtigen Verlage sind in den Hallen 3 und 4 untergebracht, Israel dagegen, wie auch die USA und Großbritannien in einer Art Hochsicherheitstrakt in Halle 8 an der Peripherie der Messe versteckt. Immerhin, es gibt dort einen israelischen Wörterbuchverlag. Auf meine Frage nach hebräisch-indischen Wörterbüchern kommt als Antwort jedoch nur ein ein Achselzucken. Aber ein junger Mann, Messebesucher wie ich, hat zufällig meine Frage mitgehört und weiß Bescheid: Es gebe, sagt er, jüdische Gemeinden in Indien, die in ihren jeweiligen Regionalsprachen Wörterbücher ent- wickelt hätten, damit die Tora gelesen und verstanden werden kann. Ob er Inder sei, frage ich ihn. Nein, er sei Deutscher, jüdischer Deutscher. Seine Ehefrau sei eine Tschuktschin aus Sibirien, Angehörige eines Volks von noch etwa 10.000 Menschen. Sie habe in der Sowjetunion häufig indische Filme im Original gesehen und so indische Regionalsprachen gelernt.
Unser Gespräch bleibt kurz, weil der eine zu einer Lesung mit Ruth Klüger muß und der andere Robert Menasse erleben will, dessen Debüt als Theaterautor mit Paradies der Ungeliebten im nahen Darmstadt unmittelbar bevorsteht. Ein wenig Zeit bleibt aber noch, um auf dem Weg bei einigen Verlagsständen kurz hereinzuschauen.
Bei der neugeordneten Verlagsgruppe der Europäischen Verlagsanstalt mit dem aus Berlin abgewanderten Verlag Philo & Fine Arts liegt eine kleine Broschur aus dem neuen Programm: Kracauers Blick. Anstöße zu einer Ethnographie des Städtischen heißt das Buch. Ich überfliege das Inhaltsverzeichnis: Unter anderen schreibt Lorenz Jäger von der FAZ über die Dissertation des Kultursoziologen zum Thema Schmiedekunst.
Einige Meter weiter bei der Deutschen Verlagsanstalt DVA liegen die beiden Teilbände Das Dritte Reich. Diktatur von Richard J. Evans. Suhrkamps traditioneller Jüdischer Almanach dreht sich dieses Jahr um das Thema Frauen. Hanser schmückt sich mit Philip Roths neuem Roman Jedermann. Am Stand von dtv finden wir den neuen Liebesroman von Mira Magén Als ihre Engel schliefen, bei Schöffling die wiederaufgelegten Erzählungen von Tadeusz Borowski Bei uns in Auschwitz. Wolf Biermann liest bei Hoffmann und Campe aus seinem neuen Gedichtband Heimat. Im gleichen Verlag erschienen ist auch die große Scharon-Biographie von Gadi Blum und Nir Hefez.
Weiter zu S. Fischer und Ingke Brodersens Zerissene Herzen, einer Geschichte der Juden in Deutschland. Streit bereits im Vorfeld gab es um Juri Slezkines Das jüdische Jahrhundert bei Vandenhoeck & Ruprecht. In diesem gegen den Strich gebürsteten Essay über die Geschichte der euro- päischen Juden im 20. Jahrhundert, zu dem Dan Diner das Vorwort beigesteuert hat, glaubte Micha Brumlik »antisemitische Elemente« zu entdecken. Für Fans des RTL-Nachmittagsprogramms hat die ehemalige TV-Jugendrichterin Ruth Herz, die mittlerweile in Oxford lehrt, bei C.H. Beck ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben.
Nächstes Jahr wird Katalonien Gastland der Buchmesse sein. Gibt es eigentlich ein Wörterbuch Hebräisch-Katalonisch?