die kommende Welt

In weiter Ferne so nah

von Rabbiner Elias J. Dray

Im Judentum spielt der Gerechtigkeitsgedanke eine sehr wichtige Rolle. Wir sind überzeugt, dass jeder Mensch nach seinen Taten gerichtet wird. Die bekannte Frage, die gestellt wird, ist: Wie kann es sein, dass Verbrecher wie der KZ-Arzt Josef Mengele nie zur Rechenschaft gezogen wurden? Die Antwort lautet, dass G’tt die Möglichkeit hat, den Menschen in der kommenden Welt, der Olam Haba, zur Rechenschaft zu ziehen. Im Talmud finden wir viele Beispiele dafür. Auch unsere heutige Parascha enthält einen Vers, der darauf hindeutet, dass das Ende von schlechten Menschen kein gutes ist. So heißt es: »Siehe, Ich lege heute Segen und Fluch vor dich …« (5. Buch Moses 11,27).
Dies beschreibt eine ähnliche Situation wie bei einer Person, die vor einer Weggabelung steht. Es gibt zwei mögliche Richtungen. Ein Weg ist am Anfang gerade und am Ende voller Dornen. Der andere ist am Anfang voller Dornen und am Ende gerade. Man warnt die Vorübergehenden: Gebt Acht, dieser Weg ist nur am Anfang gerade, dann wird er dornig. Der andere Weg ist am Anfang dornig, doch wird er gegen Ende gerade.
Im Talmud lesen wir im Traktat Brachot, dass Mosche zu Israel sprach: »Seht, schlechte Menschen sind in dieser Welt für eine gewisse Zeit erfolgreich, am Schluss folgt jedoch die Enttäuschung … Gute Menschen müssen sich in dieser Welt abmühen, am Ende werden sie jedoch frohlocken.«
Im Buch Chovot HaLevavot (deutsch: »Pflichten des Herzens«) wird eine kleine Anekdote von zwei Brüdern und ihren unterschiedlichen Anlagestrategien erzählt. Beide erbten Landstücke, die den gleichen Arbeitsaufwand erforderten. Einer verdingte sich für einen Teil des Tages, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn er etwas Zeit fand, bearbeitete er jedoch sein eigenes Land. Wenn er genug verdient hatte, nutzte er seine Zeit, um das geerbte Land zu verbessern. Nach ein paar Jahren reichte sein eigenes Stück Land, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er nahm nur das Nötigste für sich und nutzte das restliche Geld, um mehr Grundstücke zu kaufen und zu bearbeiten. Zum Schluss konnte er dank der harten Arbeit seiner Hände in Wohlstand leben.
Der andere Bruder war nicht so überlegt. Anfangs arbeitete auch er für andere. In seiner Freizeit jedoch faulenzte er. Mit dem Geld, das in seiner Tasche klimperte, und der Zeit, die ihm zur Verfügung stand, jagte er allen möglichen Vergnügungen nach. Sein Feld lag nicht nur brach, sondern wurde mit der Zeit immer mehr überwuchert und immer weniger nutzbar. Schließlich brach der Zaun, Regenwasser schwemmte fruchtbaren Boden davon, und gesunde Bäume gingen ein. Die schlechten Eigenschaften des Mannes waren verantwortlich dafür, dass er zeitlebens verschuldet und von den anderen abhängig war. Armut war sein ständiger Begleiter.
Chovot HaLevavot erklärt: »Ein weiser und einsichtiger Mensch wird die geistige Dimension dieser Welt und ihre Feinheiten erfassen. Er wird dieses Wissen wie die Stufen einer Leiter dazu benützen, Beweise der Existenz seines Schöpfers zu sammeln und Ihm zu dienen. Er wird aus den materiellen Elementen dieser Welt die Dinge auswählen, die seinem körperlichen Wohlbefinden zuträglich sind und sein Überleben sichern, aber nur soweit sie seinen Bedürfnissen entsprechen und seinen Lebensunterhalt gewährleisten. Er wird den Luxus und die Kostbarkeiten dieser Welt nicht beachten, die sein Herz von G’tt abwenden und wird sich bemühen, an seinem endgültigen Ziel und Zuhause, der nächsten Welt, zu bauen.
Wer die Wege dieser Welt nicht kennt und die Weisheit, die sich dahinter versteckt, nicht erkannt hat, betrachtet diese Welt als seine ewige Bleibe und sein Zuhause. Alle seine Bemühungen gelten ihr und sein Herz und alle seine Kräfte sind auf sie ausgerichtet. Er denkt, dass dies seinen Interessen am besten dient. Er sieht nicht, dass das Resultat aller seiner Bemühungen und alle seine zusammengerafften Besitztümer auf andere übergehen werden … und so vernachlässigt er alle seine Interessen in der nächsten Welt.«
Der Vers »Siehe, Ich lege heute vor dich Segen und Fluch« lehrt das grundlegende Konzept des freien Willens. Die Zeit zu wählen und zu handeln ist heute. In einer Welt voller Materialismus kann man sich schnell an die Flimmerkiste verlieren und Abend für Abend in den Bann einer leuchtenden Mattscheibe gezogen werden. Die lebenswichtigen Energien der Jugend werden für Dinge verschwendet, die sich schließlich als große Enttäuschung entpuppen.
Die Kunst ist, im weltlichen Treiben des Heute die Existenz einer tiefen Weisheit zu erkennen und von dieser erhabenen Quelle der Weisheit immer stärker fasziniert zu sein. Sicher ist dies schwieriger, als den ganzen Tag durchs Fernsehprogramm zu zappen, doch es führt uns zu glücklicheren Ergebnissen und macht jeden einzelnen Tag zu einem gesegneten Abenteuer.

Der Autor ist Jugendrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München.

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