Die Parascha Schelach-Lecha enthält einen kleinen Satz über ein wichtiges Getränk: »Und Wein zur Spende ein Drittel Hin bringe dar zum Wohlgeruch dem Ewigen« (4. Buch Moses 15,7).
Dem Wein kommt im Judentum eine große Bedeutung zu, brachten doch die Meraglim, die Männer, die das verheißene Land auskundschafteten, eine Weinrebe aus dem Land Kanaan mit. Der Wein ist eines der wichtigsten Elemente unserer Tradition. Der Tenach verdeutlicht an vielen Stellen, dass der Wein unsere Gemüter erfreut und den Menschen dazu bringt, die tiefen Inhalte unserer Feiertage zu verstehen. Er dient uns nicht zur Berauschung, sondern als Mittel der Bewusstmachung unserer Aufgabe, nämlich Awodat haschem, den Dienst für G’tt zu vollziehen. Undenkbar, dass auch nur eines unserer Feste oder gar der Schabbat ohne Wein oder Traubensaft gefeiert werden würde.
nüchternheit Rabbiner Raphael Breuer – er wirkte Ende des 19. Jahrhunderts in Frankfurt am Main – schreibt in seinen sogenannten Epigonenbriefen: »Wie sinnig der Jude den Schabbat und seine Festtage empfängt und entlässt! Mit einem Becher Wein in der Hand. Der Wein soll ihm eine Handhabe sein, sich den Geist des Tages zu vergegenwärtigen und zu vertiefen. Der Wein soll ihn nicht berauschen, sondern klarer werden lassen über das, was ihm der Tag werden soll und was er ihm war. Der Wein als Vehikel der Klarheit und Nüchternheit! Wie merkwürdig! Wir lassen uns vom Wein nicht nur nicht unterkriegen und meistern, wir lassen uns von ihm auf die Höhen des Gedankens hinaufheben und verharren dort, nachdem wir den Wein längst ausgetrunken haben. Wir machen seit Tausenden von Jahren Kiddusch und finden einen großen Teil unserer Wahrheit im schabbatlichen Kidduschwein symbolisiert. Zugeteiltes Glücksmaß. Zugemessener Anteil am Geschickesheil und an der Lebensfreude, was ja Koss, der Becher, zum Ausdruck bringt. Wer über Wein Kiddusch macht, wird so bald nicht in der Gosse liegen. Der Fluch des Alkohols findet nur im Kidduschbecher seine Grenze.«
weinberg Immer dann, wenn wir die Bracha über den Wein sprechen, erinnern wir uns daran, dass wir im Tenach oft mit einem Weinberg verglichen werden, den G’tt selbst gepflanzt hat. Uns soll damit die große Bedeutung und auch die Besonderheit unserer Aufgaben verdeutlicht werden. Wiederholt machen uns die Propheten und unsere Weisen darauf aufmerksam, dass wir als Volk Israel in geistig-sittlicher Hinsicht unter den Völkern der Welt von gleicher Vortrefflichkeit sein sollen wie der Wein unter den Pflanzengattungen. Ebenso wie der Wein von Natur gut ist, soll auch der Grundcharakter unseres Volkes edel sein.
Wir alle wissen, dass zur Erhaltung der guten Eigenschaften des Weines immer die größten und sorgfältigsten Anstrengungen unternommen werden müssen. Auf uns Menschen übertragen heißt das: Wir müssen uns bemühen, unsere guten und edlen Eigenschaften zu erhalten und fördern.
Unser großer Gelehrter Raschi (1040-1105), seines Zeichens selbst Weinbauer, erklärt, dass der Wein das vorzüglichste Getränk ist, wenn er gut gerät und stets gut behandelt wird. Genauso verhält es sich mit uns, wenn wir unserer Bestimmung entsprechen. Die Tora mit ihren Ge- und Verboten ist unser Leitfaden, den wir genau beachten sollten. Wie bei der Behandlung des Weines von der Pflanzung bis zum Genuss selbst der kleinste Fehler spürbare Folgen hat, so werden auch wir bei Vernachlässigung der uns gestellten Aufgaben die Folgen spüren. Möge es nie dazu kommen!
leitmotiv Nehmen wir uns Joschua und Kaleb als Vorbild, die die Erkundung des verheißenen Landes Kanaan richtig aufgefasst haben. Unser Leitmotiv soll nicht das der übrigen zehn Kundschafter sein: »Wir können nicht gegen das Volk ziehen, denn es ist uns zu stark« (4. Buch Moses13,31). Vielmehr sollen wir uns an Mosches Worte halten: »Steigt hier im Süden hinauf und ersteigt den Berg« (4. Buch Moses 13,4).
Die zehn Kundschafter konnten das verheißene Land nicht erreichen, sie erlagen ihren sinnlichen Bestrebungen in der Wüste. Joschua und Kaleb nahmen das Land ein, weil sie den Besitz des Landes von dem hohen Standpunkt der Tora aus betrachteten. Gemeinsam sollten wir uns immer wieder unserer Bestimmung bewusst werden.