von Tobias Kaufmann
Kann ein Jude Antisemit sein? Um diese Frage dreht sich ein Prozeß, der an diesem Donnerstag um 12.15 Uhr vor der Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main stattfindet. Dort treffen der »Spiegel«-Redakteur und Autor der Jüdischen Allgemeinen, Henryk M. Broder, und der Verleger Abraham Melzer sowie einer seiner Buchautoren, der Auschwitz-Überlebende Hajo Meyer, aufeinander.
Zusammengefaßt geht es vor Gericht um folgendes: Broder bezichtigt Melzer und Meyer der Judenfeindschaft. Diese weisen den Vorwurf zurück und haben Broder per einstweiliger Verfügung untersagen lassen, Formulierungen weiter zu verwenden, durch die sie den Tatbestand der Beleidigung erfüllt sehen. Diese Verfügung will Broder nun kippen, denn aus seiner Sicht handelt es sich nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Werturteile, die von der Pressefreiheit gedeckt sind. Das bemerkenswerte an dem Prozeß ist: alle drei Beteiligten sind Juden.
Die Erfahrungen aus anderen Medien-Prozessen zeigen, daß das Gericht relativ schnell aus rein formalen Gründen urteilen könnte. Doch sollte es tatsächlich eine inhaltliche Bewertung der gegenseitigen Vorwürfe vornehmen, dann müßte es erstmals in der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte darüber befinden, ob auch Juden Judenfeinde sein können – und ob ein Jude einen anderen Juden tatsächlich unter dem Schutz der Meinungsfreiheit als Antisemiten bezeichnen darf.
Der Streit zwischen Abraham Melzer und Henryk M. Broder schwelt seit Jahren. Broder hat Melzer auf seiner privaten Internetseite mehrfach heftig angegriffen, auch wegen dessen extrem israelkritischen Veröffentlichungen. Melzer wirft Broder vor, selbst Antisemitismus zu schüren und jeden Kritiker Israels als Judenhasser zu verunglimpfen. Ähnliche Vorwürfe hatte Meyer in der Vergangenheit gegen den Zentral- rat der Juden erhoben. Meyer hat im vergangenen Jahr in Melzers Verlag das Buch Der Untergang des Judentums veröffentlicht. In dem Buch und in einem Vortrag an der Universität Leipzig argumentierte Meyer, die Juden seien am Entstehen des Antisemitismus selbst schuld, etwa, indem sie sich mit ihren Speisegesetzen abgrenzten – diese machten es schließlich unmöglich, einer Essenseinladung durch einen Nichtjuden zu folgen, was gerade im Nahen Osten unhöflich sei. Das »böse Judentum«, das den Holocaust zur Ersatzreligion mache, weise zudem Analogien zu Nazideutschland auf. Man könne von einer israelischen Wehrmacht und einer jüdischen SS sprechen. Zwar betreibe Israel (noch) keine Gaskammern, doch für einen Genozid gäbe es verschiedene Methoden, sagte Meyer in seinem Vortrag laut einem Bericht auf der Internetseite www.achgut.de.
In einer Einleitung zu diesem Bericht zweier anderer Autoren hatte Broder Melzer und Meyer als Experten für »angewandte Judäophobie« bezeichnet, die für die Leipziger »den Adolf machen«. Melzer habe eine »Lücke« entdeckt, die er mit »braunem Dreck« fülle. Die entsprechenden Stellen sind inzwischen unkenntlich gemacht. Broders Vorwurf an Meyer, ein »Berufsüberlebender« zu sein, ist dagegen nach wie vor zu lesen.