von Alexa Brum
Der Sederabend des Jahres 1966 fiel auf den 5. April. Auch damals bekannten die Väter an den reich gedeckten Tischen: »Dafür hat Gott es für mich getan, als ich aus Ägypten gezogen bin.« Knapp 21 Jahre nach dem Ende der Schoa war es nicht selbstverständlich, daß das jüdische Volk diese Worte an seine Kinder weitergab, ohne daran zu verzweifeln.
In Frankfurt am Main hatte sich zu dieser Zeit die Jüdische Gemeinde entschlossen, eine Grundschule zu eröffnen. Es war die erste jüdische Schule in Deutschland nach dem Krieg. »Ein zartes Pflänzchen« nannte Landesrabbiner lsaak Emil Lichtigfeld die Schule bei der Eröffnung am 18. April 1966. »Ein zartes Pflänzchen, das noch viel begossen werden muß.« Wie sehr hatte er sich für diese Schule eingesetzt, ermöglichte sie doch, die in ganz Frankfurt zerstreuten und vereinzelten jüdischen Kinder der Gemeinde gemeinsam zu unterrichten.
Was an staatlichen Schulen befremdlich gewirkt hätte, fiel an dieser Schule nicht auf. Denn die Familiengeschichten der meisten ähnelten sich. Viele Eltern sprachen nicht richtig Deutsch, kaum ein Kind hatte Großeltern, Tanten oder Onkel.
Die Schule war ein wichtiger Schritt, der nachfolgenden Generation eine jüdische Identität in einer nichtjüdischen Umwelt zu ermöglichen und zu vermitteln. Und doch war sie von Beginn an eine offene Schule. Von den 30 Kindern, die im ersten Jahrgang von der Gründungsrektorin Ruth Moritz in die erste und zweite Klasse aufgenommen wurden, waren vier keine Gemeindemitglieder. In diesem ersten Jahrgang wurden nur zehn Prozent aller Gemeindekinder der Schule anvertraut. Doch schon bald stieg ihre Zahl auf 60 Prozent. Ruth Moritz leitete die Schule 23 Jahre lang und brachte das »Pflänzchen« zum Blühen. Bereits ein Jahr nach der Eröffnung starb Rabbiner Lichtigfeld. Am 13. Dezember 1968 erhielt die Schule seinen Namen.
Inzwischen hat sich die Isaak-Emil-Lichtigfeld-Schule zu einem starken Faktor in einer pluralistischen Frankfurter und hessischen Schullandschaft entwickelt. Sie ist nicht nur bekannt für ihr hohes Leistungsniveau, sie hat in den vergangenen Jahren auch ihr Profil als jüdische Schule geschärft: durch die Entwicklung einer ausgeprägten Schultradition, durch den ständigen Ausbau der judaistischen Fächer und durch die Aufnahme jüdischer Themen in weitere Unterrichtsfächer.
Nach den Sommerferien wird die Schule in das historische Philanthropin ziehen, um die gymnasiale Sekundarstufe I erweitert und in eine Ganztagsschule umgewandelt. Jüdisches Wissen soll durch ständige Praxis gefestigt und die Identitätsbildung weiter gestärkt werden. Die Eltern honorieren das: 2006/07 werden an der Schule insgesamt 390 Schüler lernen, das sind 60 mehr als im vergangenen Jahr. 30 Prozent von ihnen sind Zuwanderer, 12 Prozent gehören nicht der jüdischen Gemeinde an. Mit Spannung sehen Schüler, Lehrer und Eltern dem Umzug entgegen.
Die Autorin ist Leiterin der Lichtigfeld-Schule