von Alina Dain
Es begann im Sommer 1978 mit einem Angelausflug. Stephen Altbaum aus Toronto stieg mit zwei Freunden in ein Boot, und sie fuhren hinaus auf den Ontario-See. Weil es ihnen gefiel, machten sie auch im nächsten Jahr eine ähnliche Kanutour. Als sie sie im nächsten und übernächsten Jahr wiederholten, meinten sie: Das sollten wir jeden Sommer machen.
»Für jemanden, der in der Provinz Ontario aufgewachsen ist, war es seit früher Kindheit üblich, freie Tage in der Wildnis zu verbringen und Überlebenstraining zu lernen«, sagt Altbaum, 59, Buchhändler aus Toronto. Was vor 30 Jahren mit drei Männern begann, ist heute ein alljährliches Sommerabenteuer für zehn 50- bis 60-Jährige. Und jeder der Männer hat inzwischen einen Spitznamen. Norm Godfrey: »der Schlepper«, Joe Feldman: »der Rebbe«, Sam Cordes: »der Vize-Chef«, Stephen Kauffman: »der Bugmann«, Ben Blufarb: »Dov«, Arnie Glickman: »der Neuling« und Phil Rubinoff: »die Stimme der Vernunft«.
Das Ziel der fünftägigen Kanutour sei es, einfach eine Kanutour zu machen, sagt Altbaum. Die Männer nennen sie ironisch »Deliverance«, auf Deutsch: Befreiung. Vergangene Woche sind sie zum 31. Mal aufgebrochen. Jeder Tag beginnt um 7 Uhr 30. »Wir kochen uns ein Frühstück auf einem Campingkocher, zwei Stunden später brechen wir die Zelte ab, räumen das Lager auf, hinterlassen Brennholz für die nächste Gruppe, und dann stechen wir in See«, erzählt Altbaum. Mittags machen die Männer eine kleine Pause, und gegen vier Uhr am Nachmittag suchen sie sich einen Ort für die kommende Nacht Sie bauen die Zelte auf und binden ihre Säcke auf Bäume, um sie vor Bären zu schützen.
Dass alle Teilnehmer der jährlichen Reise jüdisch sind, habe sich so ergeben, sagt Altbaum, der die Touren seit Jahren organisiert. »Wir alle sind in Toronto aufgewachsen, und die meisten unserer Freunde sind jüdisch. Auf meinem Gymnasium waren rund 90 Prozent der Schüler Juden.« Man sehe das Leben ähnlich und habe viel miteinander gemein.
Auf der Reise begehen die zehn Männer immer den Schabbat, sie zünden Kerzen an und machen Hawdala. Zwei von ihnen essen koscher. Auf die wird Rücksicht genommen. Sie bereiten nur koscheres Fleisch zu, und Milchiges und Fleischiges werden von verschiedenen Tellern und mit verschiedenem Besteck gegessen. Vor ein paar Jahren hätten die Männer eine Gruppe von jugendlichen Campern getroffen, erzählt Altbaum. »Einer von ihnen war Jude.« Weil seine Mutter kurz zuvor gestorben war, wurden sie sein Minjan und sagten gemeinsam das Kaddisch. Ein andermal, an einem Freitagabend, halfen die Männer einer Camping-Gruppe mit Schabbatkerzen aus, die diese vergessen hatte.
Jeder Tag endet mit der Öffnung der Bar. Altbaum: »Meistens Scotch und Rye. Aber wir trinken erst, wenn die Arbeit getan ist.« Dann schwimmen die Männer oft im See und reden über das Leben, das Judentum, den Nahost-Konflikt und alles mögliche. Am nächsten Tag: das Gleiche. Altbaum: »Was unsere Kanutour seit 30 Jahren so erfolgreich macht, ist die Chemie zwischen den Leuten: die stimmt.«