Farzaneh Daneshwar hat Angst. Mehrmals vergewissert sie sich, dass weder ihr richtiger Name noch ihr Wohnort in der Zeitung veröffentlicht werden. Die seit mehreren Jahren in Deutschland lebende iranische Rechtsanwältin fürchtet sich davor, dass ihre Worte auch in Teheran gelesen werden könnten. Sie weiß, dass das unwahrscheinlich ist. Doch wer auf der Todesliste des Regimes stand und als politischer Häftling in einem iranischen Gefängnis war, ist vorsichtig geworden.
Seit in Teheran der Wahlsieg von Mahmud Ahmadinedschad verkündet wurde, sitzt Farzaneh täglich mehrere Stunden vor dem Fernseher. Auch an diesem Samstagabend überschlagen sich die Ereignisse. Die Nachrichten zeigen Bilder von aufgebrachten Demonstranten und vermummten Milizionären auf Motorrädern. Schon am Tag zuvor wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei mehr als zehn Menschen getötet. Während die Sendung läuft, führt Farzaneh Daneshwar immer wieder die Tasse Kaffee zum Mund. Fassungslos und ohne einen Schluck genommen zu haben, stellt sie sie wieder zurück.
In den Nachrichten heißt es, möglicherweise seien die Demonstranten von der Polizei mit kochendem Wasser aus Hochdruckschläuchen in die Flucht geschlagen worden. Farzaneh Daneshwar lacht bitter. »Glauben Sie wirklich, dass ein Regime, das Homosexuelle hängt, Frauen steinigt und politische Gegner einfach so verhaftet, davor zurückschreckt, seine Feinde auf diese Weise zu verletzen?«, fragt sie.
Misstrauen An der Tür hängt die Hand Fatimas, die das Haus schützen soll. Auf dem Tisch stehen Gläser mit dampfendem Tee. Am Boden liegen Perserteppiche, an den Wänden hängen Bilder mit iranischen und hebräischen Motiven. Die Hamburger Wohnung der Familie Chaim, die ihren richtigen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will, erinnert noch sehr an die frühere Heimat. Und das, obwohl der letzte Besuch in Teheran schon fast 30 Jahre zurückliegt. Auch hier läuft der Fernseher fast Tag und Nacht.
Mit Sorge verfolgt das Ehepaar die Entwicklungen in Iran. »Das war mit Sicherheit Wahlbetrug«, glaubt Herr Chaim. Von Oppositionsführer Mussawi sind die beiden aber auch nicht begeistert. »Im Iran sagen sie: Wir haben die Wahl zwischen schlecht und schlechter«, erzählt Frau Chaim. »Musawi ist das kleinere Übel.«
Sie traut den religiösen Führern im Iran nicht, wenn sie teilweise den protestierenden Mussawi-Anhängern nachgeben: »Bei den Mullahs muss man das genaue Gegenteil von dem annehmen, was sie sagen.« Ihr Mann schätzt zwar die Lage ähnlich pessimistisch ein, doch ein wenig Hoffnung hat er: »Es ist wenigstens überhaupt irgendetwas, vielleicht blüht daraus etwas auf.« Dabei schwingt auch die Hoffnung mit, einmal in sein Geburtsland zurückkehren zu können.
Herr Chaim wurde 1940 geboren und wuchs wie seine Frau in Teheran auf. Er hat die jüngere Geschichte des Iran miterlebt. »Man kann die heutige Lage überhaupt nicht mit 1979 vergleichen«, sagt der ehemalige Professor, der während der Revolution in Teheran lebte. »Das Militär ist damals geschlossen übergelaufen, heute steht es zu 100 Prozent hinter der Regierung.« Seine Frau wirft ein: »Noch!«
Die Bilder aus dem Iran, die das Wohnzimmer in Hamburg erreichen, sind erschreckend. »Es ist schlimm, was man dort sehen muss. Ich fürchte, die Demonstranten werden sich einschüchtern lassen«, sagt Herr Chaim. Er sieht Iran als reale Gefahr für Israel und die westlichen Staaten in der Pflicht: »Ohne Einmischung geht es nicht. Aber die westlichen Regierungen treiben alle Handel mit Iran, sonst gäbe es das Regime schon längst nicht mehr.«
Der Wissenschaftler trifft sich nach dem Synagogenbesuch oft mit persischen Freunden. Gerade in diesen Tagen ist das wichtig. Man sitzt zusammen, diskutiert, tauscht Neuigkeiten aus. Die wenigsten haben direkten Kontakt in den Iran. Auch telefonisch ist es schwierig, jemanden zu erreichen. So bleibt auch ihnen nur das Fernsehen oder das israelische Radio, um Neues zu erfahren. Herrn Chaims ehemalige Universitätskollegen sind längst nicht mehr in Teheran. »Ich bin kurz nach der Revolution 1979 aus Teheran weggegangen. Viele von uns hatten im Ausland studiert, und plötzlich sollten wir dort von einem Mullah geführt werden, der von der Wissenschaft keine Ahnung hatte.«
Ähnlich wie den Forschern an der Hochschule erging es den jüdischen Gemeinden des Landes. Die größte verbleibende Gemeinde in Teheran unterliegt starken Kontrollen, ihre Mitglieder werden sogar gezwungen, gegen Israel zu demonstrieren. Die Situation sorgt bei Herrn Chaim für trauriges Kopfschütteln. »Früher gab es jüdische Schulen, Bäckereien, Restaurants in Teheran«, sagt er. »In meiner Jugend war auch nicht alles einfach, aber die Menschen hatten Freiheiten. Nicht nur die Juden, auch die Christen und Muslime selbst.« Die Lage sei unter Präsident Ahmadinedschad noch schlimmer geworden, aber die etwa 30.000 im Iran verbliebenen Juden hätten nicht die Möglichkeit, das Land zu verlassen. »Von den Menschen, die heute im Iran leben, sind die persischen Juden eine der ältesten Gruppen. Wo sollen diese Menschen, besonders die älteren, denn hin? Sie haben dort ihre Heimat, sprechen keine anderen Sprachen.« Seine Frau nickt. Aber ein wenig Mut machen den beiden die Demonstrationen dann doch: »Vielleicht ändert sich in den nächsten Jahren etwas, es gibt eine junge Generation im Iran, die jetzt auf die Straße geht. Auf diese Jugend hoffen wir.«
Solidarität Yalda Sarshar denkt gerne an ihre Kindheit in Teheran zurück. Es sind vor allem die Kleinigkeiten, an die sich die Stuttgarter Familientherapeutin mit Wehmut erinnert. »Ich vermisse den Geschmack der Pistazien, den Geruch von frisch gebackenem Brot oder die Gänse, die jeden Morgen auf dem Weg zur Schule hinter mir hertrotteten. Selbst der Ruf des Muezzin, der für mich als Jüdin nicht von Bedeutung war, fehlt mir manchmal.«
Sie ist während der Herrrschaft des Schahs im Iran aufgewachsen und hat mit ihren Eltern noch vor der islamischen Revolution das Land verlassen. Nie hat sie seitdem ernsthaft den Wunsch verspürt zurückzukehren. In den letzten Jahren habe der Iran mit seiner antisemitischen Politik nur negative Gefühle in ihr ausgelöst. »In der heutigen Situation aber würde ich gerne in Teheran mit den Menschen auf die Straße gehen und gegen Ahmadinedschad protestieren«, sagt sie energisch. Als sie die Fotos von getöteten Demonstrantinnen gesehen hat, habe sie weinen müssen. Zum ersten Mal seit Jahren fühlt sie sich ihren Landsleuten wieder nahe.
Die andauernden Proteste gegen die offensichtliche Manipulation der Präsidentschaftswahl haben auch Yalda Sarshar überrascht. Der iranischen Jugend, die den Großteil der Bevölkerung des Landes ausmacht, sagte man in den vergangenen Jahren nach, sie sie unpolitisch. Die meisten jungen Menschen waren von der Politik enttäuscht und zogen sich ins Private zurück. Seitdem beispielsweise die Pasdaran, die Revolutionsgarden, unter Ahmadinedschad sehr aggressiv auch den korrekten Sitz der Kopftücher kontrollieren, treffen sich die iranischen Jugendlichen oft in ihren Autos. Dort sind die wenigen verbliebenen freien Orte des Landes.
Seit Barack Obamas Rede zum persischen Neujahrsfest habe sich bei vielen etwas gewandelt, erklärt die Iranerin. »Sie wissen nun, dass die USA es ernst meinen und den Dialog auf Augenhöhe mit dem Iran suchen. Das war das Schlimmste, was den Mullahs geschehen konnte: Das Feindbild USA verschwindet.«
zweifel Ebenso klar analysiert der in Süddeutschland lebende Manouchehr Radmanesch die Situation im Iran. Der in Israel geborene Sohn iranischer Juden hat große Zweifel, ob Oppositionsführer Mussawi tatsächlich für die Politik steht, die der Westen mit ihm verbindet. »Selbst wenn er sich am Ende doch noch gegen die Theokratie durchsetzen kann, weiß man nicht, wie er zu den Juden steht. Die iranischen Juden sollten nicht allzu viele Erwartungen haben«, sagt er. Die Hoffnung, dass der Iran sich irgendwann von den Mullahs befreien könne, sei bei ihm schon vor Jahren der Resignation gewichen. Er fürchtet, dass bei den Demonstranten schon bald der Punkt erreicht sein wird, an dem sie sagen, es sei besser, unfrei und lebendig, als frei und tot zu sein. Seiner Ansicht nach sollten iranische Juden sich nicht an den lebensgefährlichen Protestaktionen beteiligen. »Es wäre das Beste für sie, dieses Land, in dem auch meine Eltern und Großeltern immer diskriminiert wurden, zu verlassen.«
Seine Frau fragt, ob er tatsächlich glaubt, dass das Regime in Teheran die gegenwärtigen Proteste im Griff habe. Manouchehr Radmanesch überlegt lange, bevor er antwortet: »Wenn man es genau be- denkt, sind in der Geschichte all diejenigen, die die Juden vernichten wollten, am Ende selbst untergegangen.«