von Wladimir Struminski
Mit Franz Kafka kann man die aktuelle israelische Wirtschaftskrise besser verstehen: In »Die Verwandlung« durchläuft der Protagonist mehrere Stufen des Grauens. Der erste Schock kommt, als Gregor Samsa sich zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt findet. Das kalte Entsetzen packt ihn aber erst, als ihm klar wird, dass die Metamorphose kein bloßes Hirngespinst ist. »Es war«, schreibt Kafka lakonisch, »kein Traum.«
In die israelische Realität übersetzt bedeutet das: Nachdem die ersten Wehwehchen handfesten Krisenerscheinungen gewichen sind, merken die Bürger, dass die Flaute nicht nur in den Schlagzeilen der Zeitungen stattfindet.
Noch vor zwei Monaten ging der Generaldirektor des israelischen Arbeitsamtes, Jossi Farhi, davon aus, dass nicht mehr als 1.200 Israelis monatlich ihren Arbeitsplatz verlieren würden: keine guten Nachrichten, aber noch keine Katastrophe. Anfang dieser Woche jedoch warnte die Industriellenvereinigung, allein im High-Tech-Sektor und dessen Zulieferbetrieben seien 35.000 Entlassungen zu erwarten.
Unter diesen Umständen hat fast jeder zweite israelische Konsument größere Anschaffungen zurückgestellt. Sogar beim täglichen Einkauf schränken sich viele Familien ein.
Nicht einmal der noch vor Jahresfrist als erste Adresse gehandelte Diamanten- und Baumagnat Lew Lewajew hat es heute leicht. Hatte der Börsenwert seines Africa-Israel-Konzerns im Jahr 2007 noch bei sieben Milliarden Dollar gelegen, so ist es heute weniger als eine Milliarde. Um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können, trennte sich der Milliardär von wertvollen Immobilien im New Yorker Finanzdistrikt.
Ein anderer israelischer Tycoon, Jitzchak Tschuwa, musste umschulden und eigene Schuldverschreibungen zurückkaufen, um aufgekommene Zweifel an der finanziellen Stabilität seiner Konzerngruppe auszuräumen.
Und die kleineren Firmen kommen zwar nicht in die Schlagzeilen, doch leiden auch sie unter Kundenverlust, Umsatzeinbußen und trüben Prognosen für 2009. Das bleibt nicht ohne Folgen: Wie jetzt veröffentlicht wurde, gingen die Maschineninvestitionen der gewerblichen Wirtschaft im vergangenen Quartal um 16 Prozent zurück.
Nach langem Warten sieht sich die Regierung zum Handeln gezwungen. Am Dienstag dieser Woche gab das Finanzministerium Schritte zur Stärkung des Finanzwesens bekannt. An erster Stelle steht eine Staatsbürgschaft für Bankkredite in Höhe von sechs Milliarden Schekel – umgerechnet 1,2 Milliarden Euro. Dem Kursverfall privatwirtschaftlicher Schuldverschreibungen will das Kabinett mit fünf Milliarden Schekel entgegentreten.
Allerdings ist das wirtschaftspolitische Instrumentarium, das Ehud Olmerts Übergangskabinett zur Verfügung steht, eingeschränkt. Das zeigte sich deutlich an dem in der vergangenen Woche von den Ministern gebilligten Konjunkturpaket im Wert von 21,7 Milliarden Schekel. Zweieinhalb Monate vor der Knessetwahl, so Haushaltsexperten, sind weder die Finanzierbarkeit noch die parlamentarische Unterstützung für das ehrgeizige Maßnahmen-
bündel gesichert.
Das sorgt dafür, dass die für die Geldpolitik zuständige Bank von Israel immer mehr als finanzpolitischer Akteur auftritt. Ihr Gouverneur Stanley Fischer ist als ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds ohehin im Umgang mit Krisen erprobt. Um den Wirtschaftskreislauf anzukurbeln, hat Fischer die Zentralbankzinsen in den vergangenen zwei Monaten um 1,75 Prozent heruntergesetzt.
Damit sind Zentralbankkredite billiger als je zuvor in Israels Geschichte. Eine Gefahr für die internationale Zahlungsfähigkeit des Landes sehen die Währungshüter nicht. »In allen Jahren seiner Existenz«, so Zentralbanksprecher Jossi Saadon im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, »hat der Staat Israel seine Schulden bedient. Das wird auch künftig so sein.«
Unterdessen haben die Oberrabbiner Shlomo Amar und Yona Metzger dazu aufgefordert, am Donnerstag gegen die Finanzkrise zu beten. »Wir bitten unsere Brüder, sich in Synagogen und an Plätzen des Tora-Studiums zu versammeln, um zu beten und um Gnade wegen der Folgen der Finanzkrise zu bitten, die die Welt erreicht hat«, heißt es in einer Erklärung. Nach Angaben der Rabbis hätten viele Fabriken angekündigt, zu schließen und ihre Arbeiter nach Hause zu schicken.