von Christine Diller
Der Fahrer im Nachbartaxi an der Ampel hat durchs offene Fenster mitgehört: »Verbrecher«, ergänzt er seinen Kollegen. Der hat gerade, auf dem Weg zur Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, erläutert: »Ich halte die NPD nicht für eine Gefahr für die Demokratie. Die haben doch nur Brutalität als Konzept.« Und ein bisschen stolz scheint er zu sein, wie sich die Bürger im knapp 30 Kilometer entfernten Gräfenberg gegen Neonazi-Besuche wehren: Anfang Dezember demonstrierten sie zum Beispiel als Nikoläuse, trotz des Vermummungsverbots.
Die Israelitische Kultusgemeinde, ein kleiner Raum im hintersten Winkel: Hier residiert ein Mann, der trotz seiner 84 Jahre unermüdlich auf politischer Ebene für Ordnung sorgt. Für Arno Hamburger, seit 35 Jahren Vorsitzender der Gemeinde und ebenso lange SPD-Stadtrat in Nürnberg, ist dieser fensterlose Raum sein Fenster zur Welt. Hier registriert und pariert er noch die leiseste Regung der NPD oder anderer Parteien und Akteure am rechten Rand, ob sie in der Zeitung, im Internet, im Stadt- oder Rathausgespräch auftauchen.
Hamburger ist ein kleiner, knorriger Mann, der genau zuhört. Dessen Augen blitzen, wenn er ein Witzchen macht. Und der sich das Lospoltern kaum verkneifen kann, wenn es um die NPD und ihre Aktionen in Nürnberg und Umgebung geht. Stolpert man in der Stadt auf Schritt und Tritt über Nazis? Das nun wirklich nicht. »Es gibt keine sichtbaren Neonazi-Strukturen, nur den braunen Bodensatz wie anderswo auch«, sagt Oberbürgermeister Ulrich Maly. Das Besondere in Nürnberg ist der Kampf gegen Rechtsextremisten, den Arno Hamburger so leidenschaftlich führt. »Wer aus der Geschichte nichts gelernt hat, ist dazu verurteilt, sie noch einmal zu erleben«, das ist sein Leitspruch.
Ralf Ollert, der NPD-Landesvorsitzende, ist seit 2002 Stadtratsmitglied. »Wir haben ihn uns als Vertreter der ›Bürgerinitiative Ausländerstopp‹ im Stadtteil Werderau eingehandelt, der damals in eine soziale Schieflage geraten war«, sagt Maly. Aber nicht erst seit Ollert legt sich Hamburger persönlich mit Rechtsradikalen an. Als Franz Schönhuber, Parteigründer der »Republikaner«, 1981 seine Autobiografie Ich war dabei veröffentlichte, wollte sich Hamburger direkt mit ihm auseinandersetzen. Doch dazu kam es nicht.
Ob in den 90er-Jahren gegen Nürnbergs »Republikaner«, 2001 gegen den einstigen NPD-Chef und kurzzeitigen Oberbürgermeisterkandidaten Günter Deckert oder gegen DVU-Umtriebe – immer ist Hamburger zur Stelle und heizt die öffentliche Debatte an.
Die Wurzeln von Hamburgers Vehemenz und seiner sensiblen Wahrnehmung liegen in seiner Biografie. Als 16-Jähriger emigrierte er 1939 nach Israel. Sein Vater hatte als Großschlächter bereits 1933 sein Geschäft verloren und war zum Gleisbau zwangsverpflichtet worden. Verwandte und Bekannte wurden in verschiedenen Lagern ermordet. Bis Hamburger 1945 als britischer Soldat nach Nürnberg zurückkehrte, wusste er nicht, dass seine Eltern überlebt hatten. Während seiner Besuche in Nürnberg verfolgte er die Hauptkriegsverbrecherprozesse, nach seiner Entlassung aus dem Militär dolmetschte er selbst bei den Nachfolgeprozessen.
Damals reifte sein Entschluss, sich in seiner Heimatstadt niederzulassen. »Es hat mich Überwindung gekostet, aber ich war das einzige Kind und fühlte die Verpflichtung, meinen Eltern zu helfen«, erzählt Hamburger. Nächtelang hat er mit dem Vater diskutiert: Wie konnten die 600.000 Juden, die vor dem Krieg in Deutschland lebten, nicht sehen, was auf sie zukommt? »Es wurde sehr wenig bis nichts dagegen getan«, sagt Hamburger. Und diesen Vorwurf will er sich niemals gefallen lassen müssen. Das ist seine Lebensaufgabe. Seit später die Rechtsradikalen »wie eine Hydra wieder aus den Löchern kamen«, spielt Hamburger mit ihnen Hase und Igel. Seinen Ehrgeiz setzt er daran, immer zuerst da zu sein.
Hamburgers derzeitiger Hauptwidersacher Ollert wird in den Medien zumeist erfolgreich ignoriert. Aber das klappt nicht immer. Vor Kurzem erstattete er Anzeige gegen Hamburger. Der hatte NPD-Mitglieder bei einer Pressekonferenz pauschal als »Verbrecher« bezeichnet. Das Verfahren wurde eingestellt. Hamburger be- dauert das. »Ich hätte keinen Verteidiger gebraucht«, sagt er und zeigt auf eine Artikelsammlung aus dem »Stürmer«, der in Nürnberg verlegt wurde. Wer die Helden des nationalsozialistischen Blattes verherrliche, sei selbst Verbrecher.
Wegen ähnlicher Aussagen hagelte es auch Anzeigen gegen Oberbürgermeister Maly und den CSU-Bundestagsabgeordneten Thomas Silberhorn sowie gegen Konstantin Wecker und über 1.000 Besucher seines Konzerts in Erlangen. Aus Solidarität mit Hamburger hatten sie gemeinsam »braunes Pack« skandiert und sich nach erfolgter Anzeige teilweise namentlich gemeldet. Auch diese Verfahren wurden mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit eingestellt. Eine Strafanzeige er- hielten im November zudem alle Unterzeichner einer Annonce in den Nürnberger Nachrichten. Darin hatten sich Nürnbergs Honoratioren mit Hamburger solidarisch erklärt – von den Stadtdekanen der Kirchengemeinden über die Präsidenten der Handwerks- und der Industrie- und Handelskammer, den Deutschen Gewerkschaftsbund bis zum Kreisjugendring, der die Zeitungsanzeige initiiert hatte.
950 Mitglieder hat die NPD in Bayern derzeit, 25 davon gehören zum Kreisverband Nürnberg Land, 60 zu Nürnberg Stadt. Einmal im Jahr meldet die NPD hier eine Veranstaltung an. Als Nürnberg im August 2005 Ersatzaufmarschort für die in Wunsiedel verbotene Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung zu werden drohte, wehrte sich die Stadt mit Händen und Füßen dagegen. Weil sie mit ihrem Reichsparteitagsgelände aber ein Täter- und kein Opferort sei, dürfe sie, so die Gerichtsentscheidung, die Veranstaltung nicht verbieten. Als die NPD dann 2006 am 60. Jahrestag gegen die Urteile der Nürnberger Prozesse demonstrierte, verhinderte Hamburger unter anderem mit mehr als 500 Gemeindemitgliedern, dass Neonazis vor dem Gerichtsgebäude aufmarschieren konnten. Und als es am 1. Mai dieses Jahres mal wieder so weit war, versammelten sich 5.000 Gegendemonstranten. Für die NPD-Abschlusskundgebung hatten sie sich etwas Besonderes ausgedacht: Zwei riesige Transparente mit historischen Aufnahmen aus Konzentrationslagern wurden angebracht.
Auch im nicht weit von Nürnberg entfernten Gräfenberg konnte Hamburger schon kleine Erfolge verbuchen. Der Ort wird von Rechten häufig heimgesucht. Das Städtchen hat das Pech, dass sein Kriegerdenkmal besonders exponiert auf einem Hügel steht. Seit einem Jahr kreuzen die Neonazis einmal im Monat dort auf, wogegen sich das engagierte, kreative Bürgerforum »Gräfenberg ist bunt« gebildet hat. Und Hamburger hat vor einiger Zeit angeregt, eine »Task Force« für die Region einzurichten. Nun gibt es ein Notruftelefon, wenn kleinere Gemeinden Hilfe gegen Rechts brauchen, Gegendemonstrationen organisieren und die Kontakte zur Nürnberger Presse nutzen wollen.
Doch der Hase-und-Igel-Wettlauf ist noch längst nicht beendet. Hamburger würde sich erst als Sieger fühlen, wenn ein NPD-Verbot Erfolg hätte. »Nur die allerdümmsten Kälber finanzieren ihre Metzger selbst«, wettert er. Ein Verbotsverfahren hält er für absolut risikolos. Die V-Männer, an deren Tätigkeit das Verbotsverfahren 2003 scheiterte, brauche es gar nicht. »Die NPD macht ihre Verfassungsfeindlichkeit doch selbst ausreichend deutlich.« Verschafft man der Partei damit nicht einen Märtyrerstatus? Hamburger hält dagegen: »Die NPD benutzt die Demokratie, um deren Freiheiten abzuschaffen. Und dafür muss ich auch noch zahlen.« 2006 erhielt die NPD rund 1,4 Millionen Euro durch die staatliche Parteienfinanzierung.
Und so macht Hamburger weiter, setzt seinen Hase-und-Igel-Wettlauf fort. Gar keine Angst? »Wer sich fürchtet, ist im Bett nicht sicher.« Dieses Lebensmotto hat ihm sein Vater vermacht.