von Thomas Lachenmaier
Henri Cartier-Bresson, der Meister der modernen Fotografie, kannte nur einen Kollegen, für den er höchste Anerkennung hatte: Martin Munkácsi. Dessen um 1930 entstandene Aufnahme von drei schwarzen Jungen, die in die Brandung rennen, sei das Bild, das ihm gezeigt habe, daß die Fotografie durch den Moment die Ewigkeit erreichen könne. »In diesem Bild ist eine solche Intensität, eine solche Lebensfreude, ein solches Wunder, daß ich noch heute von ihm fasziniert bin.«
Martin Munkácsi gilt als wichtigster Pionier des modernen Bildjournalismus. Doch außerhalb von Fachkreisen kennt heute kaum jemand den Namen des 1896 in Ungarn geborenen Fotografen. Eine große Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau will das jetzt ändern. Die Ausstellung zeigt mehr als 350 Fotografien aus den Jahren 1923 bis 1963, darunter 300 Originalabzüge. Zahlreiche Aufnahmen wurden nach ihrem Erscheinen in Zeitungen und Magazinen kein zweites Mal veröffentlicht.
Den Weg zur Fotografie fand Martin Munkácsi – den ursprünglichen Familiennamen Memelstein hatten die Eltern magyarisiert – über das Schreiben. Er berichtete als Journalist über Fußball und Autorennen. Als die ersten Zeitungen Fotos abdruckten, entdeckte er die Kamera für sich. Schon seine frühen Aufnahmen zeigen seine Handschrift, die er später perfektionieren sollte: Als die Fotografie sich noch kaum von ihrer statischen Schwere gelöst hatte, schoß er bereits Bilder, die sich durch frische Lebendigkeit und eine bis dahin kaum gesehene Dynamik auszeichneten. Damit war Munkácsi, als er 1928 nach Berlin ging, der richtige Mann am richtigen Platz. Seine kunstfertigen, bewegten, dynamischen Kompositionen waren der perfekte Ausdruck der quirligen Metropole. Sie erschienen in großen Zeitschriften wie Die Dame, Uhu und vor allem in der Berliner Illustrirten Zeitung, dem mit mehr als einer Million Exemplaren damals auflagenstärksten Bildermagazin der Welt. Für sie lieferte Munkácsi zahlreiche Titel, prägnante Reportagen aus aller Welt und brillante Bildessays. Stets verband er journalistische Genauigkeit mit hohenformal-ästhetischen Ansprüchen. Er fotografierte alles: Sport, große Politik, Berühmtheiten, aber auch ärmliche Kellerbehau- sungen in Berlin. Er hielt das fröhliche Leben im »Luna Bad Wannsee« (1931) fest oder den kraftvollen Schlag beim »Polo-Wettkampf in Berlin Frohnau« (1929) und er faszinierte mit einzigartigen Luftaufnahmen von einer Fliegerschule für Frauen unweit von Berlin. Vor allem aber faszinierte Munkácsi die Weiblichkeit – privat und beruflich. Er war dreimal verheiratet und hatte zahlreiche Affären. Seine Bilder bekannter und unbekannter Frauen sind von einer subtilen Erotik, man spürt förmlich, wie sich seine Augen von der Schönheit leiten ließen um für sie eine grafisch aufregende Komposition zu finden.
Die technische Begrenztheit des Mediums Kamera überwand Munkácsi durch seine Geschicklichkeit im Umgang mit den klobigen Apparaten ebenso wie durch eine vorausschauende Arbeitsweise. Er konnte in Sekundenschnelle abdrücken und nahm sich dabei noch Zeit zum Denken: »Think while you shoot!« war sein Motto. Einen Torwart beispielsweise zu fotografieren, der im Flug den Ball fängt, war zu seiner Zeit eine geniale Leistung. Mit solchen Bildern avancierte Munkácsi zu einem der hervorragendsten Vertreter des »Neuen Sehens« und der Moderne in der Fotografie schlechthin.
Am 21. März 1933 fotografierte der Starfotograf den Weg des neuen Reichskanzlers Adolf Hitler in die Potsdamer Garnisonskirche. Daß im neuen Deutschland der Nazis für ihn kein Platz war, begriff er schnell. 1934 folgte er einem Angebot von Harpers Bazaar in New York, das er vor Jahresfrist noch abgelehnt hatte. Bei der legendären Modezeitschrift wurde er als Starfotograf mit einem Jahressalär von 100. 000 Dollar eingestellt – in heutigem Geld mehrere Millionen. Damit war er der bestbezahlte Fotgraf seiner Zeit.
In Amerika revolutionierte Munkácsi die Modefotografie, indem er etwa Models im Winter in Bademoden am Strand entlang laufen ließ. Für das Ladies’ Home Journal produzierte er zwischen 1940 und 1946 die Bilderserie »How America lives« über das alltägliche Leben der Amerikaner quer durch alle sozialen Schichten. Weitere Höhepunkte seines Schaffens waren ungewöhnliche Porträts von Hollywoodstars wie Jean Harlow, Katharine Hepburn, Leslie Howard, Jane Russell und Marlene Dietrich.
In der frostigen und prüden Nachkriegszeit nach 1945 sank der Stern des Lebemanns und Erotikspezialisten. Arbeit fand er nur noch in der Werbung und als Kameramann beim Film. Privates Leid wie den Krebstod seiner Tochter und den Verlust von Angehörigen im Holocaust konnte er nicht verwinden. Als er 1963 an einem Herzinfarkt starb, war Martin Munkácsi in der breiteren Öffentlichkeit schon fast vergessen. sein Kollege Richard Avedon würdigte ihn in seinem Nachruf: »Er brachte ein Gefühl von Glück, Ehrlichkeit und Liebe zu den Frauen in einen Bereich ein, der vor ihm eine freudlose, verlogene Kunst gewesen war.«
Martin Munkácsi. Budapest – Berlin – New York. Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin. Vom 5. August bis 6. November 2006