von Gil Yaron
Er ist unser ältester und primitivster, gleichzeitig unser geheimnisvollster Sinn. Während Auge und Ohr erforscht und verstanden sind, Licht und Lärm sich objektiv messen und erklären lassen, bleiben unsere Nasenhöhlen physiologisches Niemandsland. Allein schon die richtige Sprache für die Forschung zu finden, ist ein Problem, lassen sich Gerüche doch nur schwer in Worte kleiden, von objektiven Messungen kann kaum die Rede sein. So blieb der Mechanismus hinter unserem Geruchssinn eines der großen ungelösten Rätsel des menschlichen Körpers. Während ein Physiker weiß, welche Farbe ein Lichtstrahl mit einer bestimmten Wellenlänge hat, und ein Musiktechniker berechnen kann, mit welcher Frequenz ein reiner Ton vibriert, kann niemand vorhersagen, welchen Geruch eine bestimmte Substanz haben wird. Forscher versuchen seit Jahrzehnten, die Zusammenhänge zwischen der Struktur eines Moleküls und seinem Duft auszumachen. Warum ein faules Ei stinkt, während Rosenöl duftet, war bisher ein Rätsel.
Ein Team des israelischen Weizmann-Instituts in Rehovot behauptet nun, bei der Suche nach komplexen Zusammenhängen zwischen Geruch und Molekülstruktur den richtigen Riecher gehabt zu haben. Erstmals ist es ihnen gelungen, mittels eines mathematischen Modells den Geruch neuer Substanzen vorherzusagen.
Professor Noam Sobel vom Weizmann-Institut und Dr. Rehan Khan von der University of California (UCLA) in den USA, Autoren der umfassenden Forschungsarbeit im renommierten Journal of Neuroscience, sind sich sicher, dass Reaktionen auf Gerüche genetisch vorprogrammiert sind. Demonstriert wurde dies beispielsweise an Laborratten, die selbst in der vierten Generation noch voller Angst auf den Geruch von Katzen reagieren: »Sie blieben wie angefroren stehen, ihr Körper schüttet Stresshormone aus«, erklärt Sobel. Aber auch beim Menschen scheint die Reaktion auf Duft oder Gestank vom Instinkt beeinflusst zu sein. Dass Geruch Geschmackssache ist, dem widerspricht Sobel ganz entschieden: »In den meisten Fällen gibt es selbst in verschiedensten Kulturen eine überwältigende Übereinstimmung in der Frage, welche Gerüche angenehm und welche abstoßend sind.« Dass Schweden einen Surströmming Hering essen statt zu erbrechen und Franzosen sich an der scharfen Duftnote eines Roquefort ergötzen können, ist dagegen angelernt: »Wir können lernen, dass der Käse gut für uns ist, und daher den Geruch schätzen lernen. Trotzdem wird man selbst in Frankreich wohl nie ein Parfum mit Käsegeruch herstellen«, meint Sobel.
Bisher versuchten Forscher, Gerüche mit Hilfe einer Skala von 146 Attributen zu beschreiben. Sobel, ein 40-jähriger Neurobiologe mit einem Faible für Statistik, war dies zu umständlich. Mittels eines statistischen Verfahrens namens PCA (Principal Component Analysis, zu deutsch: Hauptkomponentenanalyse) gelang es ihm und seinen Mitarbeitern, die verschiedenen Attribute von Düften auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen und so ihre Klassifikation erheblich zu vereinfachen. Mit PCA lassen sich Eigenschaften nach ihrer Wichtigkeit sortieren und entlang einer Skala einordnen.
Das Ergebnis der Analyse war ebenso eindeutig wie überraschend: »Wenn wir auf einen Duft stoßen, sortiert ihn unser Gehirn in erster Linie danach, wie angenehm er uns ist«, erklärt Sobel. Im nächsten Schritt wendete Sobel PCA auf die chemische Struktur von Duftstoffen an. Chemiker beschreiben Moleküle mit Hilfe von 1.514 Attributen. Sobel begann, diese Attribute mittels PCA einzuordnen. Das Forscherteam bat nun Freiwillige, Gerüche entsprechend ihrer Ähnlichkeit wie Perlen auf eine Kette zu reihen. Je ähnlicher die Düfte, desto näher sollten sie beieinander sein, brav sortiert von angenehm duftend bis zum ekligen Gestank. Danach verglichen die Forscher diese Reihenfolge mit der chemischen Struktur, die sie gemäß der PCA auf einer Skala darstellten. Die Übereinstimmung war perfekt.
Gemäß seinem Model stellte Sobel seinen Probanden nun unbekannte Düfte vor, nachdem er vorher an seinem Computer errechnet hatte, wie angenehm sie sein müssten. Das Ergebnis war der Durchbruch: Erstmals in der Geschichte der Geruchsforschung hatte Sobel die Ergebnisse genau vorhergesagt.
Grob kann gesagt werden, dass ein großes und dicht gepacktes Molekül schlechter riecht als ein kleines und weniger kompaktes. »Das erklärt aber höchstens 40 Prozent des Dufts«, schränkt Sobel ein. Um bessere Aussagen machen zu können, will er jetzt eine Geruchsdatenbank für 1.000 Düfte einrichten, die von 150.000 Probanden erschnüffelt werden sollen. Dies soll die statistische Analyse erheblich zuverlässiger machen.
Für Sobel reicht die Relevanz seiner bahnbrechenden Entdeckung jedoch weiter als nur bis zu der Möglichkeit, eines Tages den idealen Duft am Computer zu entwerfen: »Wenn die Evolution in Jahrmilli- onen einen Mechanismus hervorbringt, der sich entlang einer Skala bewegt, dann muss dies irgendeine Bedeutung haben«, sagt der Professor. Noch ist es unklar, was die komplexen Kriterien widerspiegeln, die letztlich die Annehmlichkeit eines Duftes ausmachen. »Wie die Wellenlänge des Lichts und die Frequenz von Tönen hat sich auch unser Geruchssinn entlang eines Kontinuums organisiert, das wir noch gar nicht verstehen«, sagt Sobel. Und das heißt im Klartext: In der Natur existiert eine den Forschern bisher unbekannte Dimension, und unsere Nase ist der beste Kompass, diese Achse zu erforschen.