Chabad Lubawitsch

Im Namen des Rebben

von Tobias Kaufmann

Wer einen Showdown erwartet hat, wird enttäuscht. Hier Micha Brumlik, der säkulare, aufgeklärte Professor aus Frankfurt am Main, dort Chabad-Rabbiner Yehuda Teichtal, der orthodoxe Menschenfänger mit dem schwarzen Hut: Gut und Böse (oder umgekehrt) sollten vergangenen Donnerstag im Jüdischen Museum Berlin aufeinandertreffen und klären, ob Chabad Lubawitsch eine gefährliche, messianische Sekte ist oder doch eine Gruppe harm- und selbstloser Frommer, die endlich etwas Licht in die dunkle Einöde der jüdischen Gemeinden gebracht hat. Zwar sind beide Kontrahenten ins Jüdische Museum gekommen, ebenso ein gespanntes Publikum. Doch das Duell fällt aus.
Stattdessen bekommen die rund hundert Zuhörer einen Dialog geboten. Zwei gebildete Menschen, die sehr unterschiedliche Ansichten vertreten, aber keine Lust haben, sich deswegen an die Gurgel zu gehen – vor allem für die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die die Mehrheit im Saal stellen, ist das ein unerwartetes Spektakel. Und ein ungewohntes.
Als nach Brumliks Vortrag über den »New Yorker Messias und seine Anhängerschaft« und Teichtals Erwiderung die Meinung des Publikums gewünscht ist, fragt eine Frau mit unterdrücktem Zorn: »Wie ist es eigentlich dazu gekommen, daß wir heute Abend nicht nur den angekündigten Vortrag, sondern auch noch Herrn Teichtal zu hören bekommen?« Auf den unausgesprochenen Vorwurf »Hat sich Chabad auch hier wieder reingedrängelt?« antwortet Cilly Kugelmann vom Jüdischen Museum mit erkennbarem Unbehagen. Das Programm sei erweitert worden, nachdem es ein Telefonat zwischen Teichtal und dem Museum gegeben habe, in dem er bat, sich als »Betroffener« auch äußern zu dürfen. Bevor die Fragestellerin sich bestätigt fühlen kann, greift Brumlik ein. »Ich war damit einverstanden und finde es gut, daß Herr Teichtal da ist.« Und bevor die Chabad-Anhänger im Raum sich deshalb als Sieger fühlen können, fügt Brumlik grinsend hinzu: »Da können Sie gleich sehen, worum es geht.« Der Chabad-Rabbiner als Anschauungsobjekt.
Micha Brumlik hat sich als kenntnisreicher Kritiker der Bewegung profiliert. Daß das Wirken der chassidischen Frommen mit ihrer amerikanischen Öffentlichkeitsarbeit nicht in jeder Gemeinde segensreich ist, sondern etablierten Organisationen das Wasser abgräbt, ist jedoch ein Vorwurf, den viele erheben. Schließlich sind mehr als 4.000 Schluchim (Abgesandte), die von ihrer finanzstarken Organisation in alle Welt verschickt werden, eine mächtige Lobby, die das Gesicht einer Gemeinde nachhaltig verändern können. Daß Chabad in Berlin eine eigene Grundschule eröffnet, die der bisher konkurrenzlosen jüdischen Grundschule der Gemeinde Schüler abspenstig macht, wird mit Argwohn betrachtet. Daß Chabad für seine Tätigkeit kein Geld verlangt und daß die jungen Schluchim im Gegensatz zu manchem Etablierten vor Ehrgeiz brennen, die Mizwa der Wohltätigkeit auszufüllen, auch. Unstrittig dürfte sein, daß Chabad dazu beiträgt, mehr jüdisches Leben in die Gemeinden zu bringen. Aber irgendwelche unkoscheren Interessen müssen hinter so viel Engagement doch stecken, oder etwa nicht?
Brumlik interessiert sich als Erziehungswissenschaftler für das religionsphilosophische Konzept der Lubawitscher. Vor allem stört ihn, der eher reformjüdisch orientiert ist, der Umgang mit Rabbiner Menachem Mendel Schneerson. Der »Rebbe«, wie die Chabadniks ihren spirituellen Führer nennen, wird von den Lubawitschern verehrt. Fast kein Auftritt, bei dem nicht auf ihn Bezug genommen wird. »Ich fand es sehr befremdlich, daß in der Frankfurter Synagoge, in der noch nie das Abbild eines Men- schen hing, plötzlich beim Vortrag eines Chabad-Vertreters das Bild des Rebben aufgehängt wurde«, erzählt Brumlik. Zur Tradition gehört es, bestimmte Rabbiner als Zaddikkim (Rechtschaffene) zu verehren und ihnen eine Vermittlerrolle zwischen der Gemeinde und Gott zuzuschreiben. »Zaddikismus« nannten Kritiker diese große Ehrerbietung gegenüber charismatischen Führern schon im 19. Jahrhundert. Denn ist die Grenze nicht fließend, zwischen liebevoller Verehrung eines Weisen, dem das Judentum positiv gegenübersteht, und Personenkult, den es als Götzendienst ablehnt? »Im Judentum betet man nur zu Gott, nicht zu irgendwelchen Zaddikim«, sagt Brumlik.
Ein Vorwurf von Kritikern, der Chabad weltweit begleitet, lautet: Teile der Bewegung haben den Kult um den Rebben auf die Spitze getrieben und sehen in ihm den Messias, den Erlöser, dessen Ankunft alle gläubigen Juden ersehnen. Brumlik versucht, diesen Vorwurf mit Bildern aus Israel zu belegen: Chabadniks mit gelben Plakaten, auf denen Schneersons Bild und das Wort »Moschiach« prangen. Außerdem zeigt Brumlik Internetseiten von Gruppen, die den »Rebben«, der 1994 kinderlos starb und eine riesige Lücke in der Bewegung hinterließ, als Messias bezeichnen. Er zitiert Zeitungsartikel von Chabad-Anhängern, die kurz nach Schneersons Tod erschienen sind und seine baldige Rückkehr als Erlöser erwarten. »Manchmal glaube ich, um 2.000 Jahre zurückgeworfen zu sein und noch mal wie in einem Reagenzglas die Entstehung des Christentums mitzuerleben«, sagt Brumlik. Die ersten Christen seien Juden gewesen, die den Tod ihres Meisters nicht verwunden hätten und deshalb ein geistiges Weiterleben des besonderen »Rebben« proklamierten. Jesus war nicht der letzte »falsche Messias« in der Geschichte des Judentums, und in Schneerson vermutet Brumlik einen seiner Nachfolger. Nicht umsonst hätten sich die Gelehrten schon vor Jahrhunderten mit der Frage beschäftigt, woran man den richtigen Messias erkenne, betont Brumlik. »Und jemand, der gestorben ist, kann es definitiv nicht sein.«
Auch aus Sicht anderer Kritiker – etwa aus der politischen Orthodoxie wie der Schas-Partei in Israel – ist die Verehrung Schneersons »unjüdisch«.
Bewußt vorsichtig spricht Brumlik nur über einen »Teil« der Chabad-Bewegung. Denn dafür, daß die gesamte Organisation oder ihre Mehrheit eine messianische Sekte im Namen des »Rebben« sind, liefern weder die Bücher Schneersons, noch die offiziellen Chabad-Schriften oder -Internetseiten Belege. Chabads Unterstützer, zu denen anerkannte Prominente wie der US-Jurist Alan Dershowitz zählen, würden solche Behauptungen deshalb auch empört zurückweisen. »Es ist eine freie Welt da draußen«, ruft Rabbiner Yehuda Teichtal, als er auf Brumliks Vortrag antworten darf. »Jeder kann behaupten, dieser oder jener sei der Messias, jeder kann Internetseiten machen oder Zeitungsartikel schreiben. Das beweist gar nichts! Chabad schreibt niemandem vor, wer der Messias ist. Wenn Einzelne in Israel dies tun wollen, dann ist dies nicht im Namen und Sinne von Chabad.«
Als Teichtal merkt, daß seine Erwiderung zu zornig klingt, unterbricht er kurz, tritt vom Rednerpult an Brumlik heran, klopft ihm auf die Schulter, und ruft: »Das ist ein wundervoller Mann!« Von diesem Moment an wird deutlich, daß es an diesem Abend keine Schlacht für und wider Chabad geben wird. Man diskutiert Fragen, die nicht neu, und doch immer wieder spannend sind. Ist es jüdisch, wenn Fromme zu den Gräbern verstorbener Rabbiner pilgern oder sich auf diese Persönlichkeiten beziehen? Und wenn nein: dürfen ausgerechnet Juden, die die Kaschrut nicht einhalten und so gut wie nie eine Synagoge von innen sehen, daran Anstoß nehmen? »Was ist jüdischer: Marokkanische Juden, die zum Grab ihres Rabbiners Baba Sali pilgern, oder Reformjuden, die Beschneidungen ablehnen und den Gottesdienst sonntags feiern?«, fragte Teichtal rhetorisch.
Einen Gewinner gibt es nicht an diesem Abend. Es bleibt der Eindruck, daß das Judentum in Deutschland auf dem Weg in eine Normalität ist, die andere Länder längst kennen: Es gibt Konkurrenz und Unterschiede zwischen jüdischen Gruppierungen. Das auszuhalten, fällt offenbar schwer. Artur Süsskind aus der Berliner Gemeinde bringt dieses Gefühl am Ende auf den Punkt: »Es ist symptomatisch, daß eine solche inhaltliche Diskussionen im Museum geführt wird, und nicht in der Gemeinde.«

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