von Katrin Richter
Eine jüdische Gemeinde wählt einen neuen Vorstand. Kandidaten werden aufgestellt, Listen angefertig. Ein Wahltermin wird festgelegt. Alles verläuft so, wie es in der Satzung zur Wahl festgelegt ist. Nur: Was passiert, wenn ein Gemeindemitglied, das auch für den Vorstand kandidieren will, nicht aufgestellt wird, obwohl es die Voraussetzungen dafür erfüllt? In solchen Fällen kann das Schieds- und Verwaltungsgericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland angerufen werden. Und das versucht dann, zwischen den beiden Parteien zu vermitteln.
Seit zwölf Jahren gibt es diese Einrichtung. Und in diesem Zeitraum hat sich das Schiedsgericht mit allerlei Fragen auseinandergesetzen müssen. War die Kündigung eines Rabbiners rechtmäßig? Wurde eine Gemeindewahl möglicherweise manipuliert. Werden öffentliche Gelder aus dem Staatsvertrag gerecht verteilt? Der Alltag in den jüdischen Gemeinden präsentiert sich den fünf Mitgliedern des Schieds- und Verwaltungsgerichts in immer wieder neuen Klagen.
Über solche großen und kleinen Streitereien sprechen Hermann Alter, der Vorsitzende des Gerichts, und seine Kollegen Recht. Sie alle sind Juristen und üben ihr Amt beim Schiedsgericht neben ihrem Beruf als Anwälte oder Richter aus. Das nehme zwar viel Zeit in Anspruch, sei aber für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland sehr wichtig, sagt der Vorsitzende. Die fünf, die zwischen Klägern und Beklagten vermitteln sollen, sind über ganz Deutschland verstreut: Gert Rosenthal in Berlin, Zwi Rappoport in Dortmund, Hermann Alter in Frankfurt am Main und Michael K. Arnon in Düsseldorf. Der rabbinische Vertreter ist der ehemalige Landes- rabbiner Joel Berger aus Stuttgart. Das allerdings werde sich mit der neuen Satzung ändern, die voraussichtlich im November verabschiedet werden soll. Von da an »werden ›nur‹ noch fünf Volljuristen dem Gericht angehören und kein Rabbiner mehr«, sagt Hermann Alter. Für halachische Fragen gebe es schließlich den Beit Din, das Rabbinatsgericht.
Als das Schieds- und Verwaltungsgericht 1996 gegründet wurde, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sich mit »innerkirchlichen Angelegenheiten« zu befassen, die nicht unbedingt gleich einem offiziellen zivilen Gericht vorgetragen werden müssen. »Wenn zum Beispiel eine Gemeinde gegen einen Landesverband klagt, ist ein ordentliches Gericht dafür in der Regel nicht zuständig«, sagt Alter. Das Recht einer Religionsgemeinschaft, sich intern juristisch auseinanderzusetzen, sei darüber hinaus sehr alt und schon in der Weimarer Verfassung erwähnt. 1996, erinnert sich Alter, nahm der Rechtswissenschaftler und Vorsitzende des Schiedsgerichts Axel Azzola sel. A. maßgeblichen Einfluss auf die Satzung. Azzola war damals der Auffassung, dass die Gründung dieses Gerichts längst überfällig gewesen sei. Denn viele Klagen, die eigentlich das »Kirchenrecht« beträfen, landeten viel zu schnell vor einer Zivilkammer.
Seit den Anfängen des Schiedsgericht hat sich viel getan. Zum Beispiel haben sich die Gründe verändert, das Gremium anzurufen. Vor einigen Jahren noch bestimmten hauptsächlich Klagen von Zuwanderern den Alltag der Richter. Es gab durchaus Fälle, bei denen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nicht zur Gemeindewahl zugelassen werden sollten, weil die alten Gemeindeführungen befürchteten, durch die Zuwanderer würde der russische Einfluss in den Gemeinden zu groß. Solche Klagen gäbe es allerdings nur noch selten. Heute seien es eher satzungstechnische Fragen, berichtet Alter. Und die lassen seine Kollegen und ihn auch schon mal zu fahrenden Richtern werden: Hin und wieder tagt das Gericht nicht in Frankfurt, sondern direkt vor Ort. Egal, wo das Schiedsgericht urteilt, der Ablauf einer Klage bleibt immer der gleiche. Die klagende Partei muss ihre Argumente dem Schiedsgericht schriftlich einreichen. Dann wird die Gegenseite darüber informiert und muss zu den Vorwürfen Stellung nehmen. »Unsere Aufgabe ist es, zwischen den Parteien zu vermitteln«, sagt Alter. Dass das nicht immer leicht ist und oft länger als zwei Wochen dauert, wissen die Juristen des Schiedsgerichts nur zu gut.
Auch die jeweilige Bearbeitungszeit hängt von den Streitparteien ab. Das Schieds- und Verwaltungsgericht ist kein Strafgericht und befasst sich deshalb zum Beispiel nicht mit Nachbarschaftstreitigkeiten – selbst wenn manche Fälle, in denen eher persönliche Differenzen im Mittelpunkt stehen, sehr danach aussehen. Sollte sich eine Partei mit dem Urteil des Schiedsgerichts nicht einverstanden erklären, kann sie sich im nächsten Schritt an ein Zivilgericht wenden. Denn das Urteil des Schiedsgerichts wird oft von den Richtern zur Kenntnis genommen. Oftmals geben die Gerichte den Fall aber zurück und berufen darauf, dass es sich um eine »innerkirchliche Angelegenheit« handele.
Und was entstehen für Kosten? »Es ist nicht so teuer wie vor einem anderen Gericht«, sagt Hermann Alter. Zuschüsse wie Prozesskostenbeihilfe gebe es allerdings nicht. »Wir möchten die Leute auch nicht dazu ermuntern, zu klagen.« Wenn sich allerdings eine Partei doch einen Anwalt nimmt, dann können die Kosten leicht in die Höhe schnellen.