von Wladimir Struminski
Eli Jischais Gesicht strahlte vor Glück. »Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat. Wir wollen an ihm froh und fröhlich sein«, zitierte der Vorsitzende der ultraorthodoxen Schas-Partei aus dem Psalmenbuch und pries den Schöpfer: »Gesegnet sei, der uns ein Wunder tat«. Jischai bejubelte damit die Verabschiedung des »Gesetzes über Kultur- und Sondererziehungseinrichtungen 5768–2008«. Nach Meinung des ultraorthodoxen Kommentators Jaakow Riwlin ist es einer der größten politischen Erfolge der vergangenen Jahre.
Das Gesetz verankert erstmals rechtlich die faktisch existierende Freistellung des ultraorthodoxen Schulsystems von Fächern wie Mathematik, Fremdsprachen und Bürgerkunde. Das ist ganz im Sinne strenggläubiger Pädagogen. Aus ihrer Sicht schränkt der »Kernunterrichtsplan« das Studium heiliger Texte durch unnötigen Ballast wie Literatur oder Mathematik ein und verbreitet verwerfliches Gedanken-
gut wie demokratische Werte oder die Gleichstellung der Frau.
Vor solchen »Torheiten« hat das ultraorthodoxe Schulwesen, das anders als die drei anderen Erziehungssysteme – das säkulare, das nationalreligiöse und das arabische – vom Staat zwar finanziert, aber nicht überwacht wird, seine Schülerinnen und Schüler auch bisher bewahrt. Vor Kurzem aber geriet das althergebrachte Gefüge in Gefahr: Von der Reformbewegung angerufen, rügte das Oberste Gericht staatliche Zuwendungen an das ultraorthodoxe Schulsystem als verfassungsrechtlich problematisch. Um eine Pleite der gottesfürchtigen Schulen zu verhindern, leitete die einflussreiche Schas erfolgreich die gesetzliche Verankerung des Ist-Zustands in die Wege.
Liberale Kritiker sind empört. Mit dem neuen Gesetz, glauben sie, werde einem Fünftel aller jüdischen Schüler das moderne Erziehungsideal vorenthalten. Nach Angaben des Erziehungsministeriums frequentieren im laufenden Schuljahr 223.000 der 1.064.000 Schüler im hebräischsprachigen Erziehungswesen eine ultraorthodoxe Lehranstalt. Tendenz steigend.
Die israelische Vereinigung für Bürgerrechte (ACRI) äußerte sich besorgt über das neue Gesetz. »Natürlich erkennen wir das Recht der Eltern an, über die Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden«, sagt ACRI-Erziehungsexperte Shlomy Saragossi. Allerdings gelte es, das Erziehungsrecht der El-
tern gegen andere Werte abzuwägen. So vereitele das Unterrichtsprogramm der Ultraorthodoxen die Entstehung einer gemeinsamen Identität in Israel. Es sei zudem befremdlich, sagt Saragossi, dass Erziehungsministerin Juli Tamir an allen Schulen den Bürgerkundeunterricht ausbaue, ihn den ultraorthodoxen Kindern aber erlasse. Schließlich hinderten die mangelhaften Kenntnisse weltlicher Fächer viele Schulabgänger an einer erfolgreicher Teilhabe am Arbeitsleben und damit an einer Integration in die israelische Gesellschaft.
Dennoch garantiert das neue Gesetz nicht die vollständige Abschottung der Ultraorthodoxen von der Außenwelt. In der Praxis zeigen sich die Jeschiwabocherim ausgesprochen lernfähig. »Im letzten Jahrzehnt drängen immer mehr Ultraorthodoxe auf den Arbeitsmarkt«, berichtet Zecharya Avigal. Er ist im Ministerium für Industrie, Handel und Arbeit für berufliche Bildung verantwortlich. »Die Ultraorthodoxen suchen nicht nur verstärkt Arbeit. Sie wollen immer qualifiziertere Jobs«. Dabei hilft ihnen das Ministerium mit Fortbildungsangeboten vor allem im Technologiebereich.
Bei der im Regelfall einjährigen Ausbildung kommt den Bocherim die im Talmudstudium erworbene Lernfähigkeit zugute. »Jeschiwastudenten, die Arbeit suchen, schaffen in einem Jahr ein weitaus größeres Lernpensum als Säkulare«, stellt Avigal fest. Inzwischen gibt es immer mehr ultraorthodoxe Programmierer, EDV-Systemmanager und Wirtschaftsprüfer.
Das von der jüdischen Wohlfahrtsorganisation »Joint« mitfinanzierte Fortbildungsprogramm steht Männern wie Frauen offen, wobei die Berufspalette immer breiter wird. Dieser Tage lief in Jerusalem ein Kurs für kommerzielle Übersetzerinnen an. Noch ist der Umfang solcher Maßnahmen begrenzt, doch könnte dies der Beginn einer tief greifenden Wende sein.
Manche ultraorthodoxe Schüler sind ohnehin weltoffener als die Rabbiner. »Ich hätte gern Bürgerkunde gelernt« sagt die 18-jährige Schlomit. Auch mit der Kultur der arabischen Minderheit hätte sich die Absolventin einer Mädchenschule mit Interesse auseinandergesetzt.