Frankfurt/Main

Im Hier und Jetzt

Das runde Fenster im Giebel der Synagoge bleibt meist bis spät am Abend hell erleuchtet. Elisa Klapheck arbeitet an ihrem Schreibtisch. Große Teile ihrer Dissertation, die sie demnächst abschließen will, hat sie in den Stunden zwischen 22 und vier Uhr morgens geschrieben.
Seit knapp zwei Jahren lebt Elisa Klap-
heck jetzt in Frankfurt. Sie ist eine von drei Rabbinerinnen in Deutschland, und sie ist die erste, die jemals in Frankfurt amtiert hat. Am 6. September wird sie offiziell in ihr Amt als Rabbinerin des Egalitären Minjan der liberalen Juden in der Frankfurter Einheitsgemeinde eingeführt.
Doch angekommen in dieser Stadt und in der Frankfurter jüdischen Gemeinschaft ist sie schon lange. Nicht nur wenn sie in ihren regelmäßigen Schiurim und Draschot neue Impulse gibt. Auch als Seelsorgerin. »Eine Beschneidung, eine Namensgebung für ein neugeborenes Mädchen und eine Steinsetzung für einen Verstorbenen« – das waren, so erzählt sie, ihre Termine allein in der vergangenen Woche.

verbundenheit Fremd gefühlt hat sie sich nie in Frankfurt, vielleicht auch weil bereits ihre Großeltern im Rhein-Main-Gebiet gelebt haben. Und das Klima in der Main-Metropole gefällt der 46-Jährigen: »Diese Stadt ist intellektuell, und sie schaut nach außen, befasst sich nicht nur mit sich selbst. Wo, wenn nicht hier, kann ich die Fragen der Zeit spüren«, fragt sie.
Modern und weltoffen will auch sie als Rabbinerin sein und aus der persönlichen Erfahrung, der Lebenswirklichkeit heraus ihren Unterricht gestalten. So wird ihre nächste öffentliche Schiur-Serie (Beginn: 12. September) den Titel »Bankenkrise und Talmud« tragen. Schon seit Längerem hält sie auf Einladung der Frankfurter Gruppe der zionistischen Frauen, WIZO, eine Vortragsreihe zum Thema »Frauenrechte im Talmud«. Denn, so erläutert sie: »Ich verstehe mich nicht nur als Lehrerin einer feststehenden Religion. Ich möchte Fragen und Lebenserfahrungen von heute direkt mit dem Judentum verknüpfen.«
In dieser Engführung von Politik und Tora fühlt sie sich der Tradition des »Freien Jüdischen Lehrhauses« verpflichtet, das der Religionsphilosoph Franz Ro-
senzweig 1920 in Frankfurt gegründet hatte. Gelehrt hat dort auch die Dichterin, Philosophin und Kulturtheoretikerin Margarete Susman, die von 1928 bis zu ihrer Emigration Anfang 1933 in Frankfurt lebte und unter anderem zahlreiche Essays für die legendäre Frankfurter Zeitung schrieb.
Der Auseinandersetzung mit Susmans Werk ist die Promotion gewidmet, an der Klapheck momentan schreibt und mit der sie dieser in Vergessenheit geratenen Denkerin zu neuer Aufmerksamkeit verhelfen will. Bereits 1946 hatte Susman in ihrem Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes eine religionsphilosophische Antwort auf die Schoa zu finden versucht.

selbstständigkeit »Sich an Grenzen herantasten, Neues wagen« – der Drang ist auch Elisa Klapheck nicht fremd. »Den Mut dazu hat mir mein Vater vermittelt«, meint sie. Als surrealistischer Künstler hat Konrad Klapheck neue Formen und Mittel des Ausdrucks in seinen Bildern erprobt. Schon früh zur Selbstständigkeit erzogen, macht die gebürtige Düsseldorferin be-
reits mit 16 Jahren Abitur und studiert im holländischen Nimwegen, dann in Hamburg Politologie. Anschließend geht sie nach Berlin, volontiert beim dortigen Ta-
gesspiegel und wird 1988 Redakteurin bei der taz. Ihr Interesse gilt den Immigranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen in Berlin. Doch im linksalternativen Milieu bleibt sie eine Fremde. Ein Aufenthalt in Israel zeigt ihr, dass auch ein Leben dort diese Fremdheit nicht aufheben kann. Schlagartig wird ihr bewusst: Die Antwort auf die Frage, welche Richtung sie ihrem Leben geben soll, kann sie nur in Deutschland finden.
Hier ist inzwischen die Mauer gefallen. Klapheck bereist das plötzlich offene Osteuropa und produziert im Auftrag der Deutschen Welle Fernsehreportagen über diesen Kontinent im Umbruch. Gleichzeitig intensiviert sie ihre judaistischen Studien. 1997 wird sie Pressesprecherin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Sie und andere reformorientierte Juden feiern gemeinsam Schabbat. Die Frauen tragen Kippa und und legen Tallit an und werden zur Tora aufgerufen. Schließlich spürt Klapheck die Schriften einer frühen Mitstreiterin auf: 1930 hatte die Berlinerin Regina Jonas in einer Abhandlung zu beweisen versucht, dass die Gleichberechtigung der Frau nicht im Widerspruch zu den jüdischen Religionsgesetzen steht, sondern sich aus ihnen ableiten lässt. Fünf Jahre später war Jonas zur weltweit ersten Rabbinerin ordiniert worden. Klapheck erhält den Auftrag, Jonas’ Nachlass zu edieren. Nach einem Studium in Amerika wird sie 2004 selbst zur Rabbinerin ernannt.
Kurz darauf nimmt sie ihre erste Rabbinerstelle in der progressiven Gemeinde Beit Ha’ Chidusch in Amsterdam an. Dort lebt sie vier Jahre, bleibt aber Frankfurt verbunden und kommt regelmäßig, um Gottesdienste und Schiurim zu halten. Mittlerweile ist sie Mitglied der Allgemeinen Rabbiner-Konferenz (ARK), gehört dem Beit Din an und betreut und prüft Übertrittswillige bei deren Giur.
In Frankfurt beginnt man, auch außerhalb der jüdischen Gemeinschaft, auf diese neue Stimme zu hören. Ihre Präsenz und Persönlichkeit sowie ihre Fähigkeit, der jahrtausendealten Weisheit des Judentums eine ungehörte Brisanz und Aktualität zu verleihen, interessieren auch Nichtjuden.

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