von Uta von Schrenk
Es gibt da etwas, das hätte sie der Dresdner Bank mal in den geschäftlichen Ehrenkodex schreiben sollen, vorausgesetzt, die Bank führt einen solchen. »Ich bin jüdisch geboren, wurde evangelisch getauft, habe katholische Kinder und habe zum Schluß noch einmal griechisch-orthodox geheiratet«, sagt Lili Collas-Gutmann und klopft mit der Hand auf den Tisch, so energisch es eben geht, wenn man 86 Jahre alt ist und gerade eine Flugreise von Florenz nach Berlin hinter sich hat. »Solange der Mensch selig wird, ist es doch gleich, unter welchem Mäntelchen.« Welcher Religion sie selbst ist? »Ich bin das, was ich bin«, sagt sie. Religion hat in ihrem Leben zu oft eine Rolle gespielt, da gewöhnt man es sich wohl ab, an etwas zu glauben.
Lili Collas-Gutmann, geboren und aufgewachsen in Heemstede bei Den Haag, lange Jahre Journalistin in Florenz, stammt aus der Bankiersfamilie Gutmann, den »sächsischen Rothschilds«, wie es früher hieß. Sie ist die Enkeltochter des Gründers der Dresdner Bank, Eugen Gutmann, und Tochter des einstigen Amsterdamer Filialleiters Fritz Gutmann. Eine alte Dame, Wollkostüm, Siegelring, weißhaarig, schon ein wenig gebeugt, die unbeschwert vom Italienischen, ins Englische, ins Deutsche wechselt, je nachdem, was ihr Gegenüber erfordert.
Die Dresdner Bank macht jetzt ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus mit vier dicken Büchern publik. Nicht ganz freiwillig. Jahre des Protests und öffentlichen Drucks gingen der historischen Dokumentation voraus, die nun im eleganten Atrium des Berliner Eugen-Gutmann-Hauses, direkt neben dem Brandenburger Tor, präsentiert wird. Eigentlich sollte die Veranstaltung im Jüdischen Museum stattfinden. Doch der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte Protest eingelegt, von »Anbiederung« gesprochen. Nun beeilt sich der Vorstandsvorsitzende Herbert Walter zu beto- nen, man habe »keine Gefühle verletzen« wollen. Lili Collas-Gutmann ist da undiplomatischer. Sie hat sich über den Vorgang geärgert, schließlich habe sie keine Probleme, den Leuten hier die Hand zu reichen. In der Tat, etwas Gutes hat ihre Anwesenheit allemal. Lili Collas-Gutmann sitzt direkt hinter Walter. Der hat nun die Firmengeschichte im Nacken, wenn man so will.
Für den Vorstandsvorsitzenden ist es das Absolvieren eines wohl einstudierten mea culpa, flankiert von anerkannten Wirtschaftshistorikern, und ein ehemaliger Herausgeber der FAZ sorgt dafür, daß die anschließende Diskussion nicht aus dem Ru- der läuft. Von »schwerem menschlichen Versagen« ist die Rede, von »bitteren historischen Wahrheiten« und »spätem, zu spätem Erwachen«. Die professionelle Betroffenheit eines deutschen Großkonzerns, ganz dem guten Ton entsprechend, sechzig Jahre nach Ende des Nationalsozialismus.
Für Lili Collas-Gutmann ist es ein Familientreffen, wenn auch ein bittersüßes. Ihre Cousine aus England ist da, Enkelin von Herbert Gutmann, energisch auf das Ansehen ihres Großvaters bedacht, der nach der Bankenkrise 1931 von den Vorstandskollegen der Dresdner Bank abserviert wurde. Da ist die Lebensgefährtin ihres verstorbenen Bruders, der die Nazizeit in London überlebte. Und da ist Nadine von Mauthner aus Frankfurt am Main, eine geborene Goldschmidt-Rothschild, auch ihre Familie wurde von den Nazis verfolgt. Lili Collas-Gutmann tätschelt Hände hier, kneift in Wangen da und erklärt einer Dame mittleren Alters, daß sie ihrer Großmutter Daisy Gutmann wie aus dem Gesicht geschnitten sei, die alten Fotografien würden es doch belegen.
Auf dem Podium ist die Rede von der »Entjudung der Dresdner Bank«, und da hat Lili Collas-Gutmann einiges beizutragen, aber hier fragt sie niemand, hier ist ihr Vater, ist ihre Mutter nur eine Fußnote in einer 2374 Seiten langen Dokumentation der Bankgeschichte zwischen 1933 und 1945. 1933 kündigte die Dresdner Bank den Vertrag mit dem jüdischen Bankhaus in Holland. Fritz Gutmann ging pleite. Was aus den Gutmanns danach wurde, gehört nicht mehr zur Firmengeschichte.
Frühjahr 1943. Lili Collas-Gutmann, damals 23 Jahre alt und mit Franco Bosi, einem Italiener aus großbürgerlicher Familie, verheiratet, steht am Hauptbahnhof Florenz, wartet auf ihre Eltern, einen Tag, zwei Tage. »Nachdem der Zug aus Berlin stets leer war, wußte ich, daß etwas passiert war.« Erst nach dem Krieg erfährt sie von der Gesandtschaft des Vatikans in Berlin, daß ihre Eltern, Fritz und Luise Gutmann, nach Theresienstadt deportiert wurden.
Dabei ließ sich alles so gut an. Lili Collas-Gutmanns Tante, die mit dem italienischen Botschafter in Deutschland verheiratet war, konnte Mussolinis Außenminister Pavolini dazu bewegen, sich für die Gutmanns in Holland einzusetzen. Tatsächlich schrieb Heinrich Himmler, Reichsführer SS, »mit besonderer Hochachtung«: »Auf Ihr Schreiben vom 31.3. 1942 teile ich Ihnen mit, daß bisher gegen den Juden Gutmann, wohnhaft in Heemstede bei Den Haag, nichts unternommen worden ist. Ich habe Ihrem Wunsch entsprechend meinen Dienststellen in Den Haag Anweisung geben lassen, Gutmann in seiner Wohnung zu belassen und ihn sowie seine Ehefrau von sicherheitspolizeilichen Maßnahmen allgemeiner Art auszunehmen.« Statt dessen kamen regelmäßig SS-Männer in das großbürgerliche Herrenhaus, um Fritz Gutmann dazu zu bewegen, die familieneigene Kunstsammlung, deren Verwalter er war, herauszugeben. Doch Fritz Gutmann war ein korrekter Verwalter, und das war sein Todesurteil.
Die Kunstsammlungen von Eugen und Fritz Gutmann waren berühmt, außerordentlich wertvolle silberne Renaissance-Pokale, Gobelins und Möbel sowie Bilder von Degas und Renoir, die SS konnte sie nicht einfach so aus dem Haus tragen. Also ließen sie sich etwas einfallen, so erklärt sich Lili Collas-Gutmann heute, was im Frühjahr 1943 geschah. Die Familie wurde benachrichtigt, die Gutmanns dürften nun nach langen diplomatischen Bemühungen des Handelsattachés in Holland ausreisen. Die Eltern packten ihre Sachen, Schmuck, Pelze, und Lili machte sich auf den Weg zum Bahnhof.
Warum Lili ihre Eltern nicht wiedersah, kann man bei der »Theresienstadt Martyrs Remembrance Association« nachlesen: »Jedoch statt nach Florenz wurden F. Gutmann und seine Frau im April 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort arbeitete der Bankier bei der Kohleverteilung und seine Frau im Hilfsdienst und beide sprachen aus Prinzip nicht Deutsch. Zweimal wurde Gutmann zur deutschen Kommandantur befohlen, um den Verzicht auf seine Sammlung zu unterschreiben, doch er weigerte sich. Nach Einmischung des italienischen Außenministers, der Mussolinis Schwiegersohn war, wurde den Gutmanns mitgeteilt, daß sie Theresienstadt verlassen und nach Italien reisen dürften. Am Tage ihrer Abreise wurde F. Gutmann in die ›Kleine Festung‹, das Theresienstädter Gestapo-Gefängnis gebracht und dort ermordet. Seine Frau wurde nach Auschwitz verschickt.«
Ihr Bruder habe die besten Jahre seines Lebens damit verbracht, nach dem Schicksal ihrer Eltern und nach dem geraubten Besitz zu forschen, sagt Lili Collas-Gutmann. »Plötzlich standen wir reichen Kinder ohne etwas da.« Außer ihrer guten Erziehung blieb Bernard und Lili nur die Er- innerung an »die Traumzeit« mit ihren Eltern, an dieses holländische Herrenhaus mit seinem Personal und die Bücher, die der Vater druckfrisch aus Amsterdam mitbrachte, Bücher von Klaus Mann, Joseph Roth. »Das, was ich heute noch bin, die Sprachen, die wir gelernt haben, die Bücher, die wir gelesen haben, die Kultur, mit der wir in Kontakt kamen, das verdanke ich meinen Eltern.« Daß Lili, aus großbürgerlichem Haus kommend, einmal Italien-Korrespondentin für holländische Zeitungen werden würde, und Bernard Reiseveranstalter, dafür war diese Art von Bildung nicht vorgesehen.
Daß Lili das faschistische und später von den Nazis besetzte Italien überlebte, verdankt sie ihrem Schwiegervater. »Er war ein gescheiter Mann, er sagte zu mir, du sprichst kein Wort deutsch.« Er brachte seine Schwiegertochter auf ein Landgut bei San Gimignano. In der Provinz, weitab von jeder Politik, überlebte Lili Collas-Gutmann. »Ich habe nie antisemitische Zusammenstöße gehabt, auch nicht, als ich noch in Holland zur Schule ging.« Die Nazis, das waren für Lili damals nur Nachrichten aus dem fernen Deutschland.
Das »Tausendjährige Reich« erwies sich für die jungen Gutmanns selbst nach Ende des Krieges noch als tückisch. Der Verbleib der familieneigenen Kunstschätze, so hieß es, sei ungeklärt. Erst 2002, nach jahrelangen Prozessen, bekam Lili Collas-Gutmann einen Anruf vom holländischen Rijksmuseum. Sie und ihre Familie sollten nach Den Haag kommen, die Adresse war ein altes Packhaus am Hafen. »Ja, und da standen unsere Sachen, zumindest ein Teil davon«, sagt Lili Collas-Gutmann. Es muß ein überwältigender, aber auch surrealer Anblick gewesen sein: Möbel, Gobelins, Schmuckstücke, Gemälde, mehr als 200 Einzelstücke, alles durcheinander in einer alten Lagerhalle. »Ich blickte nach unten, und da stand ich auf dem Teppich, der im Zimmer meiner Mutter lag.« Was tun, mit solchen Schätzen? Die Gutmanns erwiesen sich als eine eher praktische Familie, jeder suchte sich ein paar Erinnerungsstücke aus, den Großteil verkauften sie bei Christie’s. Wer hängt sich schon einen Gobelin in die Wohnung? Immerhin spülte die Auktion wieder Geld in die Familienkasse.
Wie kommt eine Frau mit einer solchen Familiengeschichte dazu, auf Einladung der Dresdner Bank der Präsentation der Firmengeschichte im Dritten Reich beizuwohnen? Eine Bank, die die Abfindungen für ihre jüdischen Mitarbeiter so niedrig ansetzte, daß diese nicht genug Geld hatten, um Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Eine Bank, die über ihre Tochterfirma Huta Hoch- und Tiefbau die Krematorien mit integrierten Gaskammern von Auschwitz mitbaute. Eine Bank, die sich rühmte, Vertrauensbank der SS zu sein. Und nun sie, Lili Collas-Gutmann, Tochter von Holocaust-Opfern, direkt hinter dem Vorstand? »Es bringt nichts, immer wieder an das schlechte Gewissen zu rühren«, sagt die alte Dame. Im Gegenteil, nur in der Zusammenarbeit mit dem Archiv der Dresdner Bank könne sie doch mehr über das Schicksal ihrer Familie erfahren. »Die Geschichte der Bank ist die Geschichte meiner Familie –deswegen bin ich hier.«
Daß sie als Aushängeschild, als Vorzeigejüdin benutzt werden könne, weist Lili Collas-Gutmann amüsiert von sich. »Ich, ein 86 Jahre altes Aushängeschild? Na, danke schön.« Nein, ihre Einladung habe sie vom Archivar der Dresdner Bank, dessen Zähigkeit es zu verdanken sei, daß die Bank sich überhaupt mit dem »dunkelsten Kapitel« ihrer Geschichte auseinandergesetzt habe, und nicht vom Vorstand. Sie habe keinen materiellen Nutzen von dieser Veranstaltung. Die Bank pflege die Familiengräber in Dresden und Berlin, das sei aber auch schon alles. »Ich will, daß man weiß, daß die Dresdner Bank von einer jüdischen Familie gegründet wurde.«