Herr Muzicant, gemeinsam mit Ihren Amtskollegen aus Frankreich, Portugal und jetzt auch Deutschland haben Sie Ihre Mitgliedschaft im Europäisch-Jüdischen Kongress (EJC) ausgesetzt (vgl. S. 6). Wie kam es dazu?
muzicant: Bei der letzten Generalversammlung am 10. Februar wurde die zweijährige Amtszeit des Präsidenten mit einem Statutentrick rückwirkend auf vier Jahre verlängert. Das ist illegal. Wir sind mit der Politik des EJC-Präsidiums schon seit Monaten äußerst unzufrieden.
Was stört Sie?
muzicant: Wir sind nicht der Meinung, dass EJC-Präsident Moshe Kantor uns vertritt. Das hat mit einer Menge von Ereignissen zu tun, unter anderem mit seinen Auftritten beim russischen Präsidenten und anschließend bei Putins Besuch im Iran, zu dem der EJC geschwiegen hat. Das liegt aber auch an der unterschiedlichen Sichtweise auf das Schoagedenken. Ganz abgesehen von peinlichen Gastgeschenken, die Herr Kantor im Namen des EJC an Politiker übergeben hat.
Andere EJC-Mitglieder scheinen mit Kantors Arbeit keine Probleme zu haben.
muzicant: Manche Länder wurden mit Posten geködert. Andere sagen, es sei nicht richtig, innerjüdisch zu streiten, man müsse den Zusammenhalt wahren. Und dann gibt es Länder, die zwar dagegen sind, aber nicht kämpfen wollen.
Wie lange möchten Sie Ihre EJC-Mitgliedschaft aussetzen?
muzicant: Bis auf Weiteres. Es gibt zwischen den Mitgliedern große Meinungsverschiedenheiten darüber, wie man eine jüdische Organisation führt und wie man mit- einander umgeht. Wir brauchen einen Kongress, der sich an die europäischen Normen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hält und der die Prioritäten anders setzt – allen voran die Bedrohung durch den Iran.
Das heißt, Sie wünschen sich einen westeuropäisch-jüdischen Kongress?
Nein, wir planen einen Kongress, der die Grenzen und Machtverhältnisse der EU widerspiegelt.
Wollen Sie den EJC sprengen?
muzicant: Nein. Aber es kann mich niemand daran hindern, zum Beispiel einen Kongress zu gründen mit den 27 EU-Mitgliedern – ohne Russland und die Ukraine.
Mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien sprach Tobias Kühn.