von Ulf Meyer
Jüdische Gotteshäuser sind eine geschmeidige Bauform: Manche sehen aus wie neoromanische oder neogotische Kirchen, andere beziehen sich in ihrem »exotischen« maurischen Stil auf die Baukunst des Islam. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann folgten viele Synagogen den strengen Gestaltungsprinzipien der Neuen Sachlichkeit.
Doch was bleibt im Kern übrig von der Synagoge als chamäleonhaftem Bautypus, wenn man alle äußeren Einflüsse abzieht? Um diese Frage zu beleuchten, hatte Bet Tfila, eine Forschungsstelle der Technischen Universität Braunschweig, die sich seit Jahren verdienstvoll um die Aufarbeitung des baulichen Erbes vieler Synagogen in Deutschland kümmert, in Zusammenarbeit mit der Hebräischen Universität Jerusalem zu einem dreitägigen internationalen Symposium eingeladen.
»Jüdisch« können weder Museen noch Gebäude sein, sondern nur Menschen. Gibt es also überhaupt eine jüdische Architektur? Wenn ja, was macht sie aus? Und wenn nein, worum drehte sich dann das Braunschweiger Symposium? Diese Fragen wollten die Veranstalter nicht beantworten. Jüdische Architektur ist für sie gleichbedeutend mit Synagogenbau – und dessen architekturgeschichtliche Entwicklung wurde auf der Tagung von Fachleuten aus Amerika, Europa und Israel in allen Details beleuchtet. Allein der Vortrag von Rudolf Klein aus Budapest fragte nach tiefer gehenden Prinzipien. Klein suchte in Frank O. Gehrys überbordender Formenfreude oder Zvi Heckers fächerförmiger, zerklüfteter Heinz-Galinski-Schule in Berlin Gemeinsamkeiten, die »typisch jüdisch« sind. Ob sich die jüdische Identität im Bau allerdings tatsächlich »durch innovative Formen« konstituiert, ist eine umstrittene These. Für Samuel Gruber aus Syracuse/ USA, einen Experten für amerikanische Synagogen-Architektur, ist die Frage, was jüdische Architektur sei, »schlicht irrelevant«, weil es »die Juden« angesichts der enormen kulturellen und religiösen Unterschiede ohnehin nicht gebe.
Auch das Jüdische Museum Berlin vermied vor zwei Jahren, als es die Ausstellung BAUEN! Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur präsentierte, den Begriff »jüdische Architektur«. Die Rede war stattdessen von »Architektur für jüdische Institutionen«. Zurecht, waren doch etliche der dort gezeigten Synagogen von christlichen Architekten entworfen worden: Die Cymbalista-Synagoge des Tessiner Architekten Mario Botta auf dem Campus der Universität Tel Aviv beispielsweise oder die beiden bekanntesten neuen Synagogen in Deutschland, die in Dresden und in München. Beide wurden von den Architekten Wandel Hoefer Lorch und Hirsch entworfen und sind in ihrem Ausdruck jüdischer als jede andere Synagoge in Deutschland je zuvor. Nichts erinnert in ihrer Architektur mehr an das Bemühen früherer Generationen, durch das Aufgreifen der jeweiligen Architekturmode im christlichen Sakralbau sich möglichst gut ins Stadtbild und damit in die Gesellschaft einzufügen: Die Neubauten in Sachsen und Bayern zeugen vom wiedererstarkenden jüdischen Selbstbewusstsein in Deutschland und bringen die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Gemeinden architektonisch eindrucksvoll zum Ausdruck. Dieser neue »Trend zur Ausdruckskraft« bei der Architektur für jüdische Institutionen in Deutschland begann mit Daniel Libeskinds Entwurf für das Jüdische Museum. Ihm gelang eine expressive, sinnliche und gleichzeitig populäre Chiffre deutsch-jüdischer Geschichte, deren vielfach gebrochene Linien die verschütteten jüdischen Bezugsachsen der Stadt kennzeichnen.
Es dauerte zwei Generationen nach der Schoa, bis die jüdischen Gemeinden hierzulande nicht länger bauliche Unauffälligkeit suchten. Die neueren jüdischen Bauten in Deutschland beziehen ihre Spannung aus dem wiedererwachenden jüdischen Leben und der stets präsenten Erinnerung an die Auslöschung jüdischer Kultur durch den Holocaust.