Herr Botschafter, Sie haben sieben Jahre lang Israels Interessen in Deutschland vertreten. Am 31. August endet Ihre diplomatische Mission. Sind Sie froh, dass es vorbei ist?
stein: Jeder Diplomat weiß, dass er nur eine begrenzte Zeit an einem bestimmten Ort auf Posten ist. Aber es waren sieben schöne, interessante Jahre. Und ich habe enorm viel gelernt. Ich blicke mit Freude, Genugtuung und Zufriedenheit auf meine Zeit in Deutschland zurück.
Keine Wehmut zum Abschied?
stein: Meinen Abschiedsbrief an Freunde, Bekannte und Kollegen habe ich mit den Worten überschrieben: »Bleiben, auch wenn man geht.« Meine offizielle Zeit hier ist zwar vorbei, aber ich werde sicherlich als Privatmensch weiterhin in Deutschland unterwegs sein. Ich habe einen riesigen Nachholbedarf, wenn es darum geht, Land und Leute besser kennenzulernen. Ich würde zum Beispiel gerne mal hier Urlaub machen. Als Botschafter konnte ich mich ja nicht so frei bewegen, wie ich das gern getan hätte.
Was haben Sie an Deutschland schätzen gelernt?
stein: Kultur. Staat und Gesellschaft sehen Kultur als ihre Aufgabe an, sehen sie als integralen Bestandteil des Gemeinwesens. Das ist schon etwas Besonderes. Wenn ich das mit Israel vergleiche, werde ich schon ein wenig neidisch.
Und was mögen Sie an Deutschland gar nicht?
stein: Zum Beispiel, dass in den vergangenen Jahren die Akzeptanz für neonazistische Weltanschauung und Rechtsradikalismus größer geworden ist. Diese Entwicklung gefährdet zwar nicht die Demokratie. Aber es geht dabei um einen schleichenden Prozess, der auf keinen Fall aus den Augen verloren werden darf. Es betrübt mich auch, dass das Ansehen des Staates Israel gelitten hat. Das gilt weniger für die politische Elite, die sich der historischen Verpflichtung bewusst ist, als für die breite Öffentlichkeit.
Ist es in Deutschland besonders schwierig, für Israel Verständnis und Sympathie zu wecken?
stein: Einen Vergleich zu anderen Ländern kann ich nicht anstellen. In Deutschland macht uns vor allem die Medienlandschaft zu schaffen. Wir kämpfen gegen eine gewisse Oberflächlichkeit in der Berichterstattung. Und ich vermisse bei einigen Journalisten zuweilen das notwendige Verantwortungsbewusstsein. Es geht doch nicht um Sensationen, sondern um Ursache und Wirkung. Das kommt oft zu kurz. Israel ist sicherlich nicht fehlerfrei. Doch ich frage mich schon, woher es kommt, dass vom jüdischen Staat ein so düsteres Bild gemalt wird, dass wir laut Umfragen als größte Bedrohung für den Weltfrieden gelten. Dafür muss es ja eine Quelle geben.
Ist das Anti-Israelische so virulent, weil es mit Antijüdischem einhergeht?
stein: Es wäre einfach für mich, ganz pauschal Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen. Das mag manchmal der Fall sein. Aber ich versehe die Menschen nicht gerne mit Etiketten. Wichtig sind die Maßstäbe: Kritik an Israel ist legitim, wenn sie dazu anregen soll, über etwas nachzudenken. Sachliche und fundierte Kritik kann eine wichtige Funktion haben, gerade wenn sie von Freunden kommt. Allerdings sollte man nicht alles gleich in die Öffentlichkeit tragen. Wenn Kritik jedoch allein dazu genutzt wird, um Israel zu dämonisieren, seine Existenz in Frage zu stellen, dann habe ich schon ein Problem damit. Für uns können doch nicht andere Maßstäbe gelten als für den Rest der Welt. Das ist nicht legitim. Diese Art von Kritik hat schon etwas Antisemitisches an sich. Und oft haben die Vorbehalte etwas Wohlfeiles. Denken Sie zum Beispiel an das Thema »Innere Sicherheit«. Immer wieder hat man Israel dafür gescholten, wie es als Demokratie mit der Bedrohung durch den Terrorismus umgeht. Jetzt gibt es sogar in Deutschland eine Debatte über »gezielte Tötungen«.
Das alles klingt danach, dass ein Botschafter Israels in Deutschland besondere Fähigkeiten braucht.
stein: Er braucht die gleichen Fähigkeiten, über die Sie als Journalist auch verfügen sollten: Es geht um die Vermittlung von Fakten. Und man muss von einer Sache überzeugt sein, um sie gut und plausibel vertreten zu können. Erforderlich ist auch eine Offenheit gegenüber einleuchtenden Argumenten. Ich habe es immer als meine Aufgabe betrachtet, Menschen zum Nachdenken anzuregen. Es geht darum, die Vielschichtigkeit des Nahost-Konflikts zu beleuchten. Vorgefasste Meinungen bringen einen nicht weiter, sie sind keine Grundlage für vernünftige Gespräche.
Muss ein Botschafter Israels zuweilen undiplomatisch hart formulieren, um etwas zu erreichen?
stein: Für Politiker, Wirtschaftsleute und Diplomaten gilt: Sie wollen etwas verkaufen. Da kommt man mit Floskeln nicht sehr weit. Manchmal muss Klartext gesprochen werden, damit der Gesprächspartner versteht, worum es geht.
Sie gelten als besonders harter Verhandlungspartner …
stein: Die Wahrheit tut manchmal weh. Illusionen bringen uns nicht weiter.
Sind »normale« Beziehungen zwischen Israel und Deutschland eine Illusion?
stein: Die Beziehungen sind viel besser, als sie es noch vor 40 Jahren waren. Wir haben ein Fundament gelegt und ein Haus darauf gebaut, das natürlich immer wieder mal eine Renovierung braucht. Die Gestaltung des israelisch-deutschen Verhältnisses ist eine Daueraufgabe. Und die Schoa bleibt fester Bestandteil der Beziehungen. Sie gehört zur deutschen und zur israelischen Identität. Dennoch gibt es viele andere Gemeinsamkeiten, die unsere beiden Demokratien verbinden. Das ist hilfreich, denn die Rahmenbedingungen ändern sich ja im Laufe der Jahre.
Sie haben sieben Jahre lang auch als Jude in Deutschland gelebt. Was ist Ihnen aufgefallen?
stein: Die jüdische Gemeinschaft befindet sich in einer Übergangsphase. Die Integration der russischsprachigen Zuwanderer ist eine riesige Herausforderung. Wie sie gemeistert werden wird, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Aber die jüdische Gemeinschaft wird in 15 Jahren eine ganz andere sein, als sie es noch in den 80er-Jahren war. Und deshalb ist es im Interesse aller, dass es hier in Deutschland eine lebendige Gemeinde gibt, die sich ihrer jüdischen Wurzeln besinnt und versteht, welche besondere Rolle Israel für die Diaspora spielt.
Vielen Zuwanderern ist Israel sehr fremd.
stein: Deshalb ist es ja so wichtig, die jüdische Identität zu fördern. Der Weg nach Israel führt über die jüdische Identität, über jüdische Geschichte und über das Bewusstsein, ein gemeinsames Schicksal zu haben.
Viele jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion haben sich für Deutschland und gegen Israel als neue Heimat entschieden. Stört Sie das?
stein: Ich habe nie einen Hehl aus meiner Haltung gemacht: Israel ist die Heimat für alle Juden. Das ist das Ziel und die Aufgabe des zionistischen Staates. Aber selbstverständlich können wir Menschen nicht dazu zwingen, in Israel zu leben. Ich muss mich also damit abfinden, wenn Juden die Bundesrepublik oder ein anderes Land als ihr Zuhause betrachten. Doch das ist kein Grund, sich nicht um sie zu kümmern. Wir sind zu klein, um auf Juden zu verzichten, nur weil sie nicht in Israel leben wollen. Deshalb ist der gute Kontakt zur Diaspora so wichtig. Wenn sich die Gemeinden bemühen, jüdische Identität, Bildung und Erziehung zu fördern, dann werden wir dabei helfen.
Das Gespräch führte Christian Böhme.