Knut Elstermann

»Ich wollte dagegen anschreiben«

»Ich wollte dagegen anschreiben«

Knut Elstermann über schiefe Geschichtsbilder

Herr Elstermann, warum schreibt ein Radiomoderator und Filmkritiker eine Geschichte über Holocaustüberlebende?
elstermann: Was ich in jüngster Zeit gesehen habe, ist eine sehr starke Konzentration auf eigene Wunden: zerstörte Städte, Bombenkrieg, Flucht, Vertreibung. Alles wichtige Themen. Ich habe nur in den letzten Jahren das Gefühl gehabt, daß nicht mehr über den Ausgangspunkt nachgedacht wird: Wo begann das alles und wie? Wer waren die Opfer? Es war mir extrem wichtig, dagegen anzuschreiben, gegen diese neue Konzentration auf die Täter. Und Gerdas Geschichte ließ mich seit Jahrzehnten nicht los.

In dem Buch »Gerdas Schweigen«, mit dem Sie derzeit in Berliner Schulen auftreten, geht es um die Geschichte Ihrer jüdischen Tante. Was verband Ihre Familien?
elstermann: Unsere nichtjüdische und Gerdas jüdische Familie waren enge Nachbarn im Scheunenviertel. Die Ehe ihrer Eltern war unglücklich. Gerda rannte immer wieder davon, zur Familie meiner Oma. Auf alten Familienfotos ist sie ganz selbstverständlich dabei. Die Bindung ist über die Generationen erhalten geblieben. Meine Familie ist eine deutsche Familie, man findet Licht und Schatten. Ich habe Licht gefunden bei Tante Hilde. Sie war mit einem Juden verheiratet und so mutig, daß sie Gerda in ihrer Weddinger Wohnung versteckte. Auf der anderen Seite stehen Lebenswege wie der von meinem Großvater, der als Gendarm im besetzten Tschechien beim Ausradieren des Dorfs Lidice beteiligt war.
Durch die Arbeit an dem Buch sind Sie mit Ihrem Geschichtsbild aus der DDR konfrontiert worden ...
elstermann: Dieses Buch ist für mich persönlich ein Ergebnis der Wende. Davor hätte ich keine Möglichkeiten gehabt, solche Recherchen zu betreiben, und vielleicht hätte ich bestimmte Fragen gar nicht gestellt, sondern wäre mit dem heldenhaften Geschichtsbild vielleicht zufrieden gewesen.
Was war das für ein Bild?
elstermann: Es wurde das Gefühl vermittelt, wir sind auf der Siegerseite. Die Kriegsverbrecher sind alle verurteilt worden oder im Westen. Wir sind die »Bewältiger« des Faschismus. Das habe ich mir lange Zeit zu eigen gemacht. Erst durch diese Recherchen, die Begegnung mit Opfern ist mir noch mal klar geworden, daß es immer um persönliche Lebensentscheidungen geht. Davon haben sie uns in der DDR freigesprochen. Es ging so weit, daß ich mir, was mir sehr schwergefallen ist, eingestanden habe, daß es auch im Sozialismus antisemitische Vorurteile gab, auch in unserer Familie.

Mit dem Moderator des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) sprach Nino Ketschagmadse.

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025

Weimar

Historiker Wagner sieht schwindendes Bewusstsein für NS-Verbrechen

Wagner betonte, wie wichtig es sei, sich im Alltag »gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Muslimfeindlichkeit und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu engagieren

 07.04.2025