moran heyna

»Ich will alles verschönern«

Es sind zu viele Ideen, die ich habe. Ich schreibe sie mir auf. Später überdenke ich sie. Was davon ist überhaupt machbar? Materialien sind teuer. Ich will alles verschönern. Alles, was es gibt, auch die kleinsten Dinge. Das ist eine Manie. Verschönern und damit am Ende etwas bewirken. Vor Kurzem haben wir von einem Bekannten einen Schrank bekommen. Er war überhaupt nicht schön, mittelbraun und ein bisschen abgenutzt. Meine Frau hat gesagt: »Werfen wir ihn weg, er ist so hässlich.« »Immer mit der Ruhe«, habe ich geantwortet und ihn angemalt, schwarz und rot. Ein Designerstück ist daraus geworden!
Ich muss malen. Ich muss. Malen und schreiben, das ist mein Leben. Ich bin Maler, Grafiker, Kalligraf. Und ich bin ein Sofer, ein Schreiber von religiösen Texten, Torarollen, Mesusot, Tefillin und Ketubot. Nie- mand sonst kann das in München. Bisher haben die Leute ihre Schriftstücke wahrscheinlich in Israel bestellt. Aber jetzt bin ich da. Ich versuche, mich in der Gemeinde bekannt zu machen. Doch das ist schwer. Bei den Juden in Deutschland gibt es eine gewisse Angst vor Leuten, die sie nicht kennen, eine Verschlossenheit.
Wie ich nach München gekommen bin? Mein Leben ist ein bisschen ungewöhnlich. 1949 wurde ich in Budapest geboren. Meine Familie war nicht religiös. Mein Vater arbeitete als Korrespondent, später als Diplomat. Die Familie reiste ihm hinterher. Als ich knapp zwei Jahre alt war, zogen wir nach Prag, später nach Ostberlin, dann hierhin und dorthin. Mein Abitur habe ich zufällig wieder in Budapest gemacht. Danach studierte ich in Wien an der Akademie für Bildende Künste. Eines meiner Fächer war Kalligrafie, und ich mochte es überhaupt nicht. Die Hausaufgaben hat mein Vater für mich gemacht. Fünf Jahre später ging ich zurück nach Budapest und studierte Typografie und Design. Ich habe geheiratet und zwei Töchter bekommen. Kaum konnten die beiden Mädchen sprechen, haben sie begonnen, Fragen zu stellen, Fragen, die wir nicht beantworten konnten.
Ja, es waren die Kinder, die uns zur Religion gebracht haben. Durch sie haben wir Tschuwa gemacht. Unterdessen war Ungarn ein bisschen freier geworden. Ich engagierte mich in der Gemeinde und fing an, Sifrut Stam zu studieren, lernte, heilige Texte zu schreiben. Es gefiel mir. Und plötzlich hatte ich auf diesem Weg zur Kalligrafie gefunden.
1990 sind wir nach Israel ausgewandert, die ganze Familie, wir haben fast 20 Jahre dort gelebt, erst in Tel Aviv, später in Ariel. Ich möchte nicht eingebildet sein, aber ich kann sagen, dass ich in Israel der viertbeste Schreiber war. Ich machte sehr teure Arbeiten. Schönheit hat ihren Preis. In Israel gibt es in jeder Stadt eine Erinnerungsstätte für die Gefallenen. Dort liegen große Alben aus mit den Lebensgeschichten der getöteten Soldaten. Für einige Städte habe ich die Bücher geschrieben.

neue liebe Dann ist meine Frau gestorben. Ich habe alleine gelebt, bis ich zufällig über das Internet eine neue Frau in München fand. Eigentlich habe ich sie nicht gefunden, sondern wiedergefunden. Denn in unserer Jugend waren wir schon einmal ein Paar. Unsere Eltern wollten damals diese Verbindung nicht. 40 Jahre lang haben wir nichts voneinander gewusst. Wir fingen an, miteinander zu sprechen, zu telefonieren, dann haben wir entdeckt, dass da zwischen uns etwas geblieben ist. Und so bin ich nach München gekommen. Wir haben geheiratet und versuchen gerade, ein neues Leben aufzubauen.
Meine Kinder sind in Israel geblieben. Sie besuchen mich aber öfters. München ist alt und schön. Es ist inspirierend und sein Kulturleben lebendig. Sonntags machen wir meistens einen freien Tag. Wir faulenzen. Oft gehen wir in Galerien oder Museen. Unbedingt möchte ich mir noch die Ausstellung von Jean Dubuffet ansehen, und ich freue mich schon auf die von Alfons Mucha im kommenden Herbst. Ich gehe auch oft ins »Haus der Kunst«, nicht nur, weil es dort sehr gute Ausstellungen gibt, sondern gerade weil es ein Nazibau ist, überhaupt nicht schön, absolut uninspiriert. Dieses Gebäude ist so beispielhaft. Das kann man nicht vergessen. Manchmal, wenn ich hineingehe, denke ich: Hoffentlich sieht mich jetzt einer von den früheren Herren, ich, ein Jude mit Kippa auf dem Kopf, hoffentlich sieht er mich von der anderen Welt aus, und hoffentlich wird die Hölle dabei noch ein bisschen heißer.

ausstellen Ich bin noch immer auf der Suche nach Münchner Galerien, die meine Bilder zeigen. Das ist nicht einfach, auch wenn viele positiv auf mich reagieren. Sie sagen »sehr schön, sehr schön«, doch sie nehmen nichts. Sie sagen: »Kommen Sie wieder, wenn Sie ein bisschen bekannter sind, dann können wir weitermachen.«
Nach dem Sonntag bis zum Schabbat verlaufen meine Tage eigentlich immer gleich. Schachrit, Malerei, Lernen. Etwa um neun Uhr komme ich von der Synagoge nach Hause, dann male ich etwa bis halb sechs. Im Moment habe ich keinen Auftrag, also arbeite ich an meinem großen Zyklus »Goldenes Zeitalter der Groteske« weiter, den ich vor ungefähr fünf Jahren begonnen habe. Zehn bis zwölf Bilder gibt es davon schon, alle einmeterfünfzig mal einmeterfünzig, Öl auf Leinwand. Die Bilder sind einander ähnlich. Alle haben diesen goldenen Hintergrund, davor Personen. Zeichnerische und grafische Elemente verbinden sich und bringen eine Assoziationskette in Gang. Zwei Bilder aus dem Zyklus hängen bei einem israelischen Galeristen in Paris.
Als Sofer warte ich natürlich auf Aufträge. Ich mache jede Ketuba, jeden Ehevertrag, individuell. Ich frage das Paar: »Wollt ihr es klassisch oder modern?« Bis das Blatt fertig ist, brauche ich etwa eine Woche. Wenn mir bei einer Mesusa ein Fehler passiert, dann ist da nichts mehr zu machen. Sie kommt in die Genisa. Passiert das bei einer Megilla, darf man verbessern. Auch beim Toraschreiben darf man verbessern. Wie man das tut, ist ganz genau vorgeschrieben. Ich mache auch Karten für Feste, Briefpapier, Einladungen, auch in lateinischer Schrift.
Meinen Tag beende ich mit Lernen. Ich studiere den Sohar und den Talmud. Über die Liebe zu den Buchstaben bin ich zur Kabbala gekommen. Sie inspiriert meine Kunst, aber auch mein Leben. Vor einigen Tagen habe ich eine neue Erklärung für die 72 Namen Gottes gefunden. Jetzt bin ich wieder voller Ideen. Auch am Schabbat lerne ich. Malen und Schreiben sind verboten. Zur Synagoge kann ich nicht gehen, es ist zu weit. Von Neuperlach aus sind es gut zwei Stunden.

schönheit Die neue Münchner Synagoge ist sehr schön. Aber nicht zu vergleichen mit der Hauptsynagoge in Budapest! Ich mag alte Synagogen, die haben eine eigene Schönheit. Ich wollte die neue Münchner Synagoge verschönern. Ich habe ein ziemlich großes Bild gemacht, extra dafür. Leider gibt es eine Vereinbarung mit der Architektin, dass man nichts an die Wände hängen darf. Jetzt wird mein Bild die Mikwe verschönern. Graue Betonwände mag ich überhaupt nicht. Wenn man in die Tagessynagoge geht, ist es eng und grau, und ich habe das Gefühl, als gehe ich zu einem Krematorium. Hier könnte man verschönern, habe ich gedacht, Bilder zur Kabbala aufhängen. Aber auch das geht nicht.
Meine Kippa trage ich immer und habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ein einziges Mal hat ein junger Mann voller Hass auf mich gesehen. Gesagt oder getan hat er aber nichts. Die Menschen interessiert es kaum, was ich da auf dem Kopf trage, oder es gibt ein Lächeln. Sogar hier in Neuperlach, wo sehr viele Muslime leben und jede zweite Frau ein Kopftuch trägt, ist es kein Problem, sich mit Kippa zu zeigen. Religiös zu leben, ist in München natürlich schwieriger als in Israel. Aber es geht. Hier wie dort gibt es noch vieles zu verschönern.

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