zum tod von Zentralratspräsident paul spiegel

»Ich weine und trauere mit Ihnen«

von Jan Popp-Sewing

In der Yitzhak-Rabin-Grundschule gab es am Dienstagmorgen nur ein Thema: Den Tod von Paul Spiegel. »Als sie in die Schule kamen, wußten es die Kinder schon. Jede Klasse hat darüber gesprochen«, berichtet Schulleiterin Heidelinde Foster. »Er hatte immer ein offenes Ohr für uns, uns immer unterstützt und viel für die Schule getan«, sagt Foster. Zuletzt hatte er sich dafür eingesetzt, daß die 1993 wiedergegründete jüdische Schule eine Bibliothek bekommt, die inzwischen eingerichtet werden konnte. Dem auf der Intensivstation liegenden Zentralratspräsidenten hatten die Kinder viele Briefe mit Genesungswünschen geschrieben. Am Donnerstag werden sie sich mit einer Schweigeminute an den Trauerfeierlichkeiten beteiligen.
Einige hundert Meter entfernt, im Nelly-Sachs-Haus, dem jüdischen Seniorenheim mit 110 Bewohnern, herrscht eine ähnliche Stimmung. »Die Bewohner waren sehr betroffen, viele meinten spontan: ›Ein guter Freund von uns ist gestorben‹«, sagt Pflegedienstleiter Bert Römgens. Spiegel nahm häufig zusammen mit seiner Frau Gisèle an Aktivitäten des Heims teil. Römgens ist der letzte Besuch des Zentralratspräsidenten tief im Gedächtnis geblieben. »Er war am 20. Dezember bei uns, hat mit uns gefeiert und die erste Chanukka-Kerze angezündet. Sein Tod ist ein großer Verlust für die jüdische Welt – und auch für den kleinen Orbit des Nelly-Sachs-Hauses. Wir alle trauern um ihn.«
Paul Spiegel hat die jüdische Gemeinde der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt mit geprägt. Es gibt hier kaum jemanden, der ihn nicht persönlich kennt. Seit Anfang der 70er Jahre lebte Spiegel in Düsseldorf, betrieb in der Stadt seit 1986 seine Künstler-Agentur und engagierte sich viele Jahre lang in den Gremien der Gemeinde. Auch als Zentralratspräsident verfolgte er die Vorgänge in »seiner« Gemeinde immer mit besonderem Interesse.
Esra Cohn, Vorsitzender des Gemeindevorstands, erreichte die Nachricht in Israel. »Ich habe einen guten Freund verloren«, sagt Cohn, der seinen Urlaub sofort abbrach, um bei der Trauerfeier am Donnerstag dabei sein zu können.
Auch die Stadt Düsseldorf zeigt sich betroffen. Oberbürgermeister Joachim Erwin erklärte: »Die Nachricht, daß Paul Spiegel gestorben ist, habe ich mit großer Bestürzung vernommen. Wir verlieren mit Paul Spiegel einen guten Freund, großen Demokraten und erfolgreichen Brückenbauer für ein besseres Deutschland«. Erwin würdigte die Verdienste des Journalisten und Unternehmers Spiegel, der in Düsseldorf seine beruflichen Wurzeln hatte. »Mit Paul Spiegel ist eine großartige Persönlichkeit von uns gegangen, die sich unermüdlich für die Versöhnung und die Entwicklung jüdischen Gemeindelebens in Deutschland eingesetzt und es vortrefflich verstanden hat, den Brückenschlag zwischen Juden und Nichtjuden herzustellen.« Mit der ihm eigenen leisen und dennoch beharrlichen Eindringlichkeit und seiner freundlichen und offenen Art im Umgang mit seinen Mitmenschen habe er die mit seinem Amt verbundene schwierige Gratwanderung hervorragend bewältigt und sich unschätzbare Verdienste im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus erworben«, sagte Düsseldorfs Oberbürgermeister. »Paul Spiegel war ein guter Freund, ein großer Deutscher und ein großer Präsident der Juden in Deutschland, der für seine Sache gekämpft hat.«
Ein Kondolenzbuch soll nach der Trauerfeier in der Gemeinde ausliegen. Bereits seit Dienstag ist ein elektronisches Beileidsbuch auf der Internetseite der Gemeinde freigeschaltet (www.jgd.de). Seine Einträge zeugen von tiefempfundener Trauer der Schreibenden, unter ihnen viele Nichtjuden. Von Schock, schwerem Verlust, Schmerz ist dort zu lesen. »Mit Paul Spiegel verliert Deutschland einen Menschen, der sich immer für Versöhnung in der uns gemeinsamen Heimat eingesetzt hat«, schreibt ein gebürtiger Düsseldorfer aus Österreich. »Ich weine und trauere mit Ihnen um Ihren und unseren großen Paul Spiegel.« Seine Liebe zu den Menschen wirkte auch bis tief in andere jüdische Gemeinden hinein. »Ich hätte diesem unermüdlichen, kämpferischen und freundlichen Menschen noch viele schöne Jahre gewünscht«, schreibt Margarete Bar-Zew, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.
»Obwohl es sicher im Sinne von Paul Spiegel gewesen wäre, die Botschaft des Israel-Tages weiter zu verbreiten, fühlen wir uns nicht imstande, am Donnerstag eine fröhliche Veranstaltung durchzuführen«, erklärt die Jüdische Gemeinde Düsseldorf die Absage ihrer Feier, die für den 4. Mai geplant war. Sie hatte zum Jahrestag der Gründung des Staates Israel zu einer Openair-Veranstaltung auf dem Düsseldorfer Schadowplatz eingeladen.

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