Ihr Roman »Das Recht auf Rückkehr« ist als »israelische Kampfprosa« und »Manifest der Antiaufklärung« bezeichnet worden. Was sagen Sie zu dieser Lesart ?
Eine Umschreibung wie die zitierte aus der taz ist völliger Unsinn. Offensichtlich gibt es Menschen, die ihre ideologische Brille niemals absetzen. Ja, mein Roman spielt im Israel des Jahres 2024, das nach wie vor von den politischen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern bestimmt wird. Aber ich habe vor allem einen Roman über einen Vater geschrieben, der seinen Sohn verloren hat und mit diesem Verlust nicht weiterleben kann. Es geht um Trauer und Ängste sowie Verluste innerhalb einer jüdischen Familie.
Im Buch ist Israel auf einen Stadtstaat rund um Tel Aviv zusammengeschrumpft. Wie wahrscheinlich ist diese Perspektive?
Es ist der »worst case«, der GAU, den ich in meinem Roman schildere. Es wird hoffentlich nie so weit kommen, aber völlig ausgeschlossen ist es nicht. Ich wollte als Schriftsteller untersuchen, was passieren kann, wenn bestimmte Umstände sich nicht ändern. Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft Israels.
Warum?
In Israel gibt es eine immer größere ultraorthodoxe Gruppe, die sich auf eine ganz andere Weise mit Israel identifiziert als es die säkularen Juden tun. Außerdem ist da eine immer größer werdende arabische Bevölkerung, die sich immer weniger mit Israel verbunden fühlt. Bei diesen drei Gruppen der israelischen Gesellschaft kann man immer weniger die Bereitschaft feststellen, sich mit dem jeweils anderen zu identifizieren und sich als ein Staat zu begreifen. Vor diesem Hintergrund drohen Israel in den kommenden zehn Jahren große Spannungen. Das alles bildet den Hintergrund meiner Geschichte.
In Ihrem Roman heißt es an einer Stelle, die palästinensischen Araber hätten die Juden »mit ihren Gebärmüttern« besiegt.
Dieser Umstand ist schon längst demografische Realität in Israel. Der große Zuwachs von Menschen in Gasa und im Westjordanland ist einer der Hauptgründe der Spannungen. Wenn eine Mutter vier Söhne in schwierigen Umständen ohne Zukunfts-perspektive wie in Gasa hat, dann bekommt jede Gesellschaft eine immense Zunahme von Gewalt.
»Das Recht auf Rückkehr« ist Ihr bislang pessimistischster und verstörendster Roman.
Offensichtlich wird dieses Buch von den Lesern pessimistischer aufgefasst, als es von mir beabsichtigt war. Eine Geschichte funktioniert immer auf mehreren Ebenen. Es ist eine Warnung vor der Zukunft, deshalb kann es keine heitere Geschichte sein. Wie die meisten meiner Geschichten geht es um Verlust, Trauer und Abschied. Man spürt eine große Trauer beim Abschied von einem Kind. Die Hauptfigur meines Romans bleibt aber trotz aller Verluste noch voll Hoffnung. Ich habe die Zukunft hoffentlich nicht komplett schwarz gemalt.
Immerhin haben Sie in letzter Zeit häufig Ihre Enttäuschung über die Politik Israels zum Ausdruck gebracht. Was kritisieren Sie konkret?
Enttäuschung ist das falsche Wort. Ich verstehe die schrecklichen Grenzen der Möglichkeiten in dieser Region. Ich verstehe, wie schwer es ist, dort zu überleben. Ich verstehe, wie schwierig es ist, mit den Aktivitäten der Nachbarn, die autokratisch oder diktatorisch regiert werden, leben zu müssen. Wie soll man da überleben und was für eine Politik wäre vor diesem Hintergrund angemessen? Die Nachbarn Israels heißen eben nicht Norwegen oder Schweden. Es ist fast unmöglich, wenn man sich die Möglichkeiten der israelischen Politiker, die eigene Moral zu schützen, vor Augen führt.
Sie meinen die Bedrohung durch den Iran?
Ja. Es naht eine große Konfrontation mit dem Iran – auch wenn der Iran gleichzeitig in der Region die größte Hoffnung ist. Sollte die iranische Oppositionsbewegung doch noch erfolgreich sein, würde sich auf einen Schlag die Lage im Nahen Osten ändern. Es bedeutete das Ende der islamistischen Revolutionen und eine große Änderung in der islamischen Welt. Wenn die Opposition aber endgültig scheitert, so wie es aussieht, dann wird das Mullah-Regime in Teheran – und in dessen Gefolge auch Hamas und Hisbollah – weiter radikalisiert. Was das für Israel bedeutet, kann sich jeder denken. Auf dieser Grundlage wollte ich ein Zukunftsbild von Israel entwerfen.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Israel nach dem Ablauf des Ultimatums des Weltsicherheitsrates gezielt die Standorte im Iran angreifen wird, an denen Atomwaffen vermutet werden?
Ich bin überrascht, dass es noch nicht passiert ist. Ich hatte es schon vor drei Jahren erwartet, als deutlich wurde, dass der Iran ein Atomprogramm unterhält. Weil die Amerikaner die muslimische Welt nicht weiter provozieren möchten, wird diese Arbeit letztlich an Israel hängen bleiben – auch wenn die sunnitischen Staaten große Angst haben vor einer schiitischen Atombombe. Sollte es so weit kommen, wäre es besser, wenn Israel und Amerika zusammen auftreten. Amerika wird sich entscheiden müssen.
Das Gespräch führte Philipp Engel.