Nach Mitternacht ist die beste Zeit zum Lernen. Wenn ich gut drauf bin, schaffe ich es, nachts aufzustehen und eine Stunde Kabbala zu studieren. Zugegeben, es kostet Überwindung, manchmal fallen mir die Augen zu. Aber zum Glück schlafe ich dann schnell wieder ein.
Der eigentliche Tag beginnt sehr früh. Morgens, bevor ich in die Praxis gehe, ist Gebetszeit. Noch einmal anderthalb Stunden, in denen ich versuche, mich mit dem Licht des Schöpfers zu verbinden. Das gibt eine unglaublich beflügelnde Kraft. Nach dem Frühstück geht’s richtig los: Termine, Patienten, E-Mails beantworten. Wenn ich hier in meiner Praxis im 16. Stock des Hochhauses sitze, genieße ich die herrliche Sicht über Berlin. Beim Blick aus dem Fenster wird mir bewusst, wie wertvoll jeder Augenblick im Leben ist.
gleichgewicht Meine Patienten kommen von überall her. Manche nehmen einen weiten Weg auf sich. Es sind viele Celebrities darunter, Schauspieler und Regierungsbeamte. Aber auch »ganz gewöhnliche Leute«. Viele leiden an psychosomatischen Erkrankungen.
Meist fängt es damit an, dass ein Patient über einen Schmerz erzählt: »Mein Knie tut weh.« »Oh, ihr Knie – und was noch?« »Nichts weiter.« »Wirklich nicht?« »Doch, ich hatte mal eine Gürtelrose.« »Ah, eine Gürtelrose, das ist interessant!« So landen wir schnell bei verborgenen Problemen. Ich sehe meine Aufgabe darin, den Dreh- und Angelpunkt der Erkrankung zu erkennen. Mir ist es wichtig, dem Menschen den komplexen Zusammenhang von Körper, Geist und Seele sichtbar zu machen. Eine echte Heilung beginnt im Kopf. Und eine gelungene Sitzung ist daher eine Mischung aus effizienter Naturheilkunde, Psychotherapie und spirituellem Coaching. Mein Ziel ist es, den Menschen einen Weg aufzuzeigen, wie sie sich gesund transformieren können.
Der Sohar liegt dabei immer auf dem Tisch. Ich sehe ihn nicht als Heilplan oder Therapie, sondern vielmehr als spirituelle Quelle, die mir Kraft gibt, mit dem Schicksal meiner Patienten angemessen umzugehen. Der Weg der Kabbala ist ein Weg der Transformation. Insofern ist jede gute Stunde auch ein Stück Kabbala. Die meisten Patienten sind neugierig und offen dafür. Manche aber können damit überhaupt nichts anfangen. Am kritischsten sind die Israelis, die zu mir kommen. Beim Blick auf den Sohar werden sie skeptisch: »Bist du religiös?« »Nein.« »Aber du trägst eine Kippa.« »Ja, und?« Dann erkläre ich ihnen den Unterschied zwischen Spiritualität und Religion. Daraus haben sich oft gute Gespräche ergeben.
energie tanken Mein Alltag ist zwar eingebettet in die jüdische Tradition. Aber als Kabbalist geht für mich der Sinn, etwa beim Anlegen der Tefillin, noch viel tiefer. Mein Ziel ist die Verbindung mit dem Großen, um dabei Freude und Energie zu tanken. Von dieser Zuversicht, dieser bedingungslosen Liebe versuche ich meinen Patienten etwas weiterzugeben. Ich glaube, das ist eine Kraft, die jeden Menschen verändert.
Als ich angefangen habe, in Berlin Psychologie zu studieren, konnte ich mit Religion nichts anfangen. Ich habe zwar den Schabbat gehalten – doch das war’s. Beim Studium habe ich eine ganze Menge gelernt und verstanden, aber mich gleichzeitig gefragt, was ist die nächste Stufe?
Die Antwort fand ich schließlich in der Spiritualität. Zunächst habe ich alles probiert, von den fernöstlichen Weisheiten bis zu indianischen Kulten. Aber es hat mir nicht wirklich geholfen. Bis ich auf eine Website vom Kabbala-Center in Israel stieß. Ich las und dachte: Wow, das ist es! Davon will ich mehr wissen. Und so habe ich angefangen mich mit der Kabbala zu beschäftigen. Sie ist eine Wissenschaft fürs Leben, sie gibt uns praktische Tools für alle Bereiche.
Meine Aufgabe sehe ich darin, mich in den »Korrekturprozess« einzureihen, von dem die Kabbala spricht. Auch wenn mein Beitrag nur sehr winzig ist, liegt mir viel daran, das Wissen der Kabbala weiterzugeben. Zurzeit arbeite ich, gemeinsam mit einer Journalistin, intensiv an einem Buch. Darin wird beschrieben, wie man Kabbala im Alltag leben kann.
Es macht mich sehr glücklich, wenn Paare oder ganze Familien zu mir kommen und schon nach wenigen Sitzungen mit einem frohen Gesicht vor mir stehen und sagen: »Wow, das habe ich mir so nie vorgestellt.« Mein Anspruch ist es, den Menschen Werkzeug fürs Leben zu geben.
vorfahren Dass es mich einmal nach Berlin verschlagen würde, hätte ich nie gedacht. Es ist eine großartige Stadt. Ich fühle mich hier sehr wohl. Auch wenn mir Israel fehlt. Meine Familie mütterlicherseits, die sehr groß war und einige bekannte Rabbiner hervorgebracht hat, lebte in Berlin. Fast alle sind in der Schoa umgekommen. Meine Großmutter hat es gerade noch rechtzeitig nach Palästina geschafft, wo dann meine Mutter geboren wurde. Sooft es geht, fliege ich für ein paar Tage nach Israel. Dort merke ich jedes Mal, wie mir das Herz aufgeht. Ich komme mit einer Ladung an Energie zurück. Dennoch ist mittlerweile Berlin mein Lebensmittelpunkt. Hier habe ich nicht nur meinen Beruf, sondern auch meine Berufung gefunden. Und natürlich meine Familie und Freunde. Aber alt werde ich hier nicht, irgendwann gehe ich zurück nach Israel.
Mein Tag ist immer sehr intensiv. Normalerweise habe ich nicht mehr als fünf bis sechs Patienten. Für jeden nehme ich mir mindestens eine Stunde Zeit. Zweimal die Woche, am Mittwoch und Sonntag, unterrichte ich via Schaltkonferenz im Internet. Wir haben eine Website, da können sich die Leute einloggen und die Lesung aus dem Sohar anhören. Viele können die hebräischen Texte ja nicht lesen. Einmal trage ich den Wochenabschnitt vor, und zum anderen lese ich aus dem Buch Pinchas, einem Teil des Sohars. Das ist eine spezifische Lesung für Menschen, die krank sind und der inneren Heilung bedürfen.
begeistert Natürlich versuche ich, die Gebetszeiten einzuhalten. Aber es kann schon mal passieren, dass ich gerade mit meiner Tochter am Nachmittag zum Unterricht muss, es läuft nicht alles glatt, die Sonne geht unter und ich schaff’s nicht zum Gebet. Nun ja, dann habe ich eine Gelegenheit verpasst, mich zu verbinden, aber was soll’s? Mein Leitmotto ist: Immer glücklich im Herzen bleiben, wirklich mit Freude und Begeisterung dabei sein, sich nicht grämen, wenn man mal das Gebet verpasst hat. Es ist schon ein seltenes Leben, das ich führe. Aber mittlerweile spüre ich ganz klare Ergebnisse. Das Wichtigste ist das, was im Herzen passiert, diese Freude, dieses Gefühl der Erfüllung, und davon etwas weitergeben zu können. Manchmal denke ich zwar, ich leiste nicht genug, aber wenn ich mal so ein Kalenderblatt anschaue und bedenke, was ich am Tag alles gemacht habe, sage ich mir: Das ist okay.