Anat Rajber

»Ich erhole mich bei der Arbeit«

Es war das erste Mal, dass wir als Großfamilie irgendwo waren. Zu meinem 50. Geburtstag, vor ein paar Wochen, hatte ich das Bedürfnis, mit allen zusammen zu feiern. Wir haben uns in Thailand getroffen. 14 Leute: unsere vier Kinder, meine Mutter und meine Geschwister aus Israel. Zehn Tage verbrachten wir gemeinsam. Das war wirklich schön. Die Familie ist mir sehr wichtig. Meine Eltern sind 1950 aus dem Irak nach Israel gekommen. Sie und meine drei Geschwister waren immer um mich herum. Jetzt studieren meine beiden ältesten Kinder in Tel Aviv und wohnen bei meiner Mutter. Meine Tochter hat mein altes Zimmer bekommen, in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin.
Auch wenn die zwei Großen physisch im Augenblick nicht bei uns in München leben, sind für mich im Prinzip noch alle Kinder da. Die beiden Kleinen gehen hier in die elfte Klasse. Morgens um sieben stehe ich mit ihnen auf, mache die Schulbrote und versuche, auch das Mittagessen zu kochen. Wenn ich nicht da bin, kriegen sie das aber inzwischen auch alleine hin. Wir sind eine sehr enge Familie. Viele Kinder zu bekommen, ist das Beste, was ich gemacht habe. Am Freitagabend feiern wir alle zusammen Schabbat. Wir sind nicht religiös, aber sehr traditionsbewusst.
Ich arbeite als Event-Managerin und kann mir die Zeit frei einteilen. Mein Büro ist zu Hause, so bin ich sehr flexibel. Aber zu den Veranstaltungen, da muss ich hin, auch abends. Manchmal bin ich eine ganze Woche unterwegs. Der Ablauf ist jedes Mal anders. Mal arbeite ich mehr, mal weniger. Eine typische Woche gibt es nicht.
Ende der 90er-Jahre habe ich mit diesem Job angefangen. Wir lebten vorübergehend in Israel. Ich habe den Beruf bei meinem Bruder in Tel Aviv gelernt. Er hat dort eine Event-Agentur, die im Business-Bereich arbeitet: Firmenveranstaltungen, Wochenenden, Frauentag, Männertag. In Israel machen die Firmen wahnsinnig viel für ihre Mitarbeiter. Ich habe mir das abgeschaut und es gut hinbekommen. Ich musste sehr viel arbeiten, mein Mann hat sich um die Kinder gekümmert. Anders war es nicht möglich.
Wir waren einige Jahre zuvor von München nach Israel gegangen, um dort neu anzufangen, denn wir mussten den Fleischgroßhandel der Familie meines Mannes aufgeben. Nach dem BSE-Skandal war es immer schwieriger geworden. Wir haben versucht, das Geschäft zu halten und sind mit Verkaufswagen auf die Wochenmärkte gefahren. Unser Fleisch war gut, die Qualität hat gestimmt. Ich arbeitete also als Fleischverkäuferin – obwohl ich eigentlich Sonderpädagogik studiert und vier Kinder zu Hause hatte. Am Anfang hatte ich überhaupt keine Ahnung davon. Trotzdem war es eine interessante Erfahrung. Viele Menschen, die mir begegneten, sahen den Menschen in mir. Ich hatte sehr nette Gespräche. Etwa zwei, drei Jahre habe ich Fleisch verkauft. Irgendwann funktionierte auch das nicht mehr. Eine wirtschaftliche Katastrophe.
Wir mussten unser Haus verkaufen, das ich drei Jahre zuvor gebaut hatte. Es war richtig groß. Wir hatten immer Gäste, Freunde, Touristen. Jeder fand seinen Platz. Und am Schabbat haben sich alle getroffen. Dann der Umbruch. Wir mussten uns neu orientieren. Mit vier Kindern ist das nicht einfach. Es war mein Mann, der den Gedanken ins Spiel brachte, nach Israel zu gehen. Er ist mit Leib und Seele Münchner, aber auch Zionist. Mein jüngster Sohn kam in die erste Klasse, mein ältester hatte gerade Barmizwa. Das war eine sehr schwierige Zeit, wenn man mit einer Familie in ein anderes Land geht, Geld verdienen muss, die Kinder neue Freunde suchen. Ich hatte in München zwar immer mit ihnen Hebräisch gesprochen, damit der Kontakt zu meiner Familie bleibt. Aber sie sind in Deutschland aufgewachsen. Für sie war Israel das Ferienland, wo meine Verwandtschaft lebt. Vielleicht war es die falsche Entscheidung, nach Ramat-Hasharon zu ziehen, ein ziemlich nobler Ort, wo nur reiche Leute leben. Mein Mann war damals um die 50, er ist knapp elf Jahre älter als ich.
Israel war ein anderes Land als das, das ich 1979 als Studentin verlassen hatte, um zu meinem Mann nach München zu ziehen. Wir hatten uns in Jerusalem kennengelernt. Inzwischen war Israel sehr jung geworden: junge Leute, junge Geschäfte, alles sehr innovativ und sehr schnell. Aus Europa sollte man dorthin wahrscheinlich nur mit wahnsinnig viel Geld kommen. Für jemanden, der sich beruflich neu orientieren musste, war es nicht der richtige Ort. Ich habe dann in Tel Aviv in der Agentur meines Bruders angefangen, es hat mir dort sehr gefallen. Für mich lief das Leben in Israel gut, aber für die Familie nicht. Die Kinder hatten Sehnsucht nach Deutschland. Ich musste handeln.
Von heute auf morgen schickte ich meinen Mann und die zwei großen Kinder nach Hause zurück. Sie sind erst mal bei meiner Schwiegermutter in München eingezogen, wir hatten ja nichts mehr. Mein Mann fand einen kleinen Job, den er noch heute macht. Ich bin mit den beiden Jüngsten ein halbes Jahr später nachgekommen. Wir haben eine sehr schöne Altbauwohnung gefunden. Das erste dreiviertel Jahr kümmerte ich mich darum, dass die Kinder wieder ihren Lebensrhythmus fanden. Für mich war das schwer. Wir hatten früher ein Geschäft, ein Einkommen, ein Leben, ein Haus. Aber man muss weitergehen. Mein ältester Sohn Roy hat mir, zurück in München, ein Selbstfindungsbuch geschenkt. Der Wille ist schon sehr wichtig im Leben. Man muss träumen. Ich wollte Event-Managerin bleiben. Über Umwege habe ich eine junge Gruppe kennengelernt, die übers Internet Veranstaltungen organisieren wollte. Wir haben uns aber bald wieder getrennt. Die machten zu viele Konzepte und setzten zu wenig um. Parallel dazu habe ich, nachdem ich die jüdische Gemeinde in München schon gut kannte, hier berufliche Kontakte geknüpft. Das erste Mal habe ich Geld verdient mit einer Jom-Ha’azma’ut-Veranstaltung.
Ich lernte außerdem eine Firma kennen, die Kängurufleisch verkaufte. Das war vor 2000, als in Sydney die Olympischen Spiele stattfanden. So habe ich Konzepte geschrieben für australische Themenveranstaltungen. Für das Unternehmen war ich in Deutschland viel auf Stadtfesten unterwegs. Durch Kontakte meines Mannes bin ich an Kantinen gekommen und habe für sie Themenwochen organisiert: kubanische, südafrikanische, alles Mögliche. In dem Bereich habe ich nach wie vor viele Aufträge: Essen, verschiedene Rezepte, Reisen, Musik. Ich schnüre ganze Pakete. Nächstes Jahr mache ich Israelwochen.
Ich arbeite sehr viel für Vereine im jüdischen Umfeld – den jüdischen Nationalfonds KKL, Yad Vashem. Bei ILI habe ich zusammen mit anderen die Israeltage der letzten Jahre arrangiert. Heute plane ich auch sehr viele Barmizwa-Feiern. Gestern habe ich mich wieder mit Eltern getroffen, um herauszufinden, welche Location für ihre Familie gut wäre. Wollen sie lieber was Klassisches, oder lassen sie sich auf Neues ein? Man muss sich erst kennenlernen, um das Richtige vorschlagen zu können. Und gut zuhören. Die Leute müssen sich wohlfühlen. Man muss viel telefonieren und braucht Dienstleister, auf die man sich verlassen kann. Sonst funktioniert das Geschäft nicht. Ich muss immer schauen, dass ich Aufträge habe. Es kommt nicht jeden Monat einfach was auf mein Konto.
Eigentlich stehe ich auf der schönsten Seite des Lebens. Für Leute Feste auszurichten, ist ein gutes Gefühl. Ich erhole mich bei der Arbeit. Sie ist vielseitig und voller Überraschungen. Das erfüllt mich. Da brauche ich keine Freizeitbeschäftigung oder Entspannung. Ich mache nicht mal Sport. Meine Familie ist fußballsüchtig. Das reicht.

Aufgezeichnet von Andrea Schlaier

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