Müsste ich 365 Tage im Jahr in München sein, es wäre der Horror. Ich brauche Bewegung. Zurzeit reise ich oft nach Berlin, dazwischen mal ein Wochenende Wien, im März Israel, ab und zu New York. Mir geht’s gut, wenn ich unter Leuten bin. Ich bin ein Workaholic und ein leidenschaftlicher Networker. Inzwischen bin ich 47 Jahre alt und noch immer nicht satt.
Seit September 2006 leite ich das Büro von Hadassah International in Deutschland und baue auch die Struktur für unsere Arbeit in Europa auf. Im Jerusalemer Krankenhaus unserer Organisation werden Patienten egal welcher Volkszugehörigkeit und Religion behandelt, dafür wurde Hadassah 2005 für den Friedensnobelpreis nominiert. Neben den Komitees in München und Berlin baue ich gerade welche in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Sachsen auf.
Wenn ich in Berlin bin, habe ich von 9 bis 19 Uhr durchgehend Termine. Das geht zwei, drei Tage so. Entweder treffe ich mich mit Komiteemitgliedern, potenziellen Spendern, Unternehmern, Rechtsanwälten oder Medienvertretern. Wir sind gerade dabei, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der Charité aufzubauen. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, Young Hadassah zu installieren, für die 25- bis 40-Jährigen. Kürzlich gab ich ein Training für eine Gruppe, die sich in Wien etablieren will. Ich brachte ihnen bei, wie man Sponsoren gewinnt und welche Programme interessant sind. Im vergangenen November habe ich selbst ein Training für die Direktoren einzelner Länder in New York besucht, wo Hadassah seinen Sitz hat. Das ging von sieben Uhr früh bis abends. Für mich ist das hart gewesen, weil ich unterwegs normalerweise nie Meetings mit Frühstück mache. Morgens brauche ich meine Ruhe und gehe in ein Café, bloß nicht im Hotel bleiben. Ich liebe üppiges Frühstück. Das habe ich vielleicht aus meiner Heimat Israel.
Auch zu Hause in München ist mir die Morgenzeit heilig. Wenn ich aufstehe, ist Lina, meine 17-jährige Tochter, schon auf dem Weg zur Schule. Anna, die Ältere, braucht wegen ihrer letzten Party-Nacht manchmal noch Schlaf. Meine Frau Undine ist entweder daheim oder nicht. Ich lese in Ruhe Zeitung. Vor halb zehn bin ich nicht im Büro.
Dort habe ich die erste halbe Stunde ein festes Ritual. Erst Online-Banking, dann E-Mails checken, israelische Zeitungen lesen. Ich bin praktisch 24 Stunden online und ganz stolz auf meinen Blackberry. Ich liebe dieses Gerät. Meistens ist der Tag voller Termine. Ich treffe mich zum Beispiel mit Axel Milberg, einem wunderbaren Schauspieler, mit dem ich versuche, einige Veranstaltungen für Hadassah zu machen. Oder es stehen Meetings mit potenziellen Spendern an, oder ich muss die Logistik für Veranstaltungen planen. Als Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde bin ich unter anderem für die Bereiche Kindergarten und Jugendarbeit zuständig und zurzeit in sehr engem Kontakt mit der Kindergartenleiterin. Wir besprechen hauptsächlich Personalfragen. Es ist praktisch, dass mein Büro am Jakobsplatz, direkt neben dem neuen Gemeindezentrum liegt.
Abends, nachdem meine Mitarbeiterin gegangen ist, schalte ich oft Musik ein. Ich höre sehr viel Lounge. Mein Favorit ist zurzeit DJ Bukowina. Musik gibt mir enorm viel Kraft, sie ist für mich wie ein Adrenalin-Schub. Meistens komme ich nicht vor 21, 22 Uhr aus dem Büro. Zum Abendessen schaffe ich es selten, zu Hause zu sein. Wahrscheinlich bin ich deshalb nicht der Vater, der ich gerne wäre. Aber man kann nicht alles sein. Ich liebe meine Arbeit und hatte bisher immer das Glück, Aufgaben zu haben, die mir Spaß machen.
Im Grunde fing das schon mit meinem Militärdienst in Israel an. Ich bin nach dem Abitur mit 18 Jahren durch Zufall in eine Position mit sehr viel Macht gekommen. Mit jedem neuen Soldaten führte ich ein Interview und habe anschließend entschieden, wo er die nächsten drei Jahre seinen Dienst ableistet. Den zweiten Teil meines Wehrdiensts verbrachte ich bei der militärischen Aufklärung. 1980 wurde ich als bester Soldat Israels in diesem Bereich ausgezeichnet. Trotzdem habe ich mich gefreut, als alles vorbei war.
Mein Vater wollte, dass ich in seine Firma einsteige, einen Gastronomie-Vertrieb. Aber das hat auf Dauer nicht geklappt, es prallten zwei Welten aufeinander. Ich habe nebenher Betriebswirtschaft studiert und immer eine Tätigkeit gesucht, bei der ich nicht ein Produkt verkaufe, sondern meine Ideen. Als ich dann meine Frau, eine Münchner Jüdin, die in den 80er-Jahren nach Israel ausgewandert war, kennenlernte – es war beim Trampen in Tel Aviv –, motivierte sie mich, eine Ausbildung zum Fotografen zu machen. Über Umwege bin ich so aus dem Familien- unternehmen heraus in die israelische Werbebranche gekommen, wo ich jahrelang gearbeitet habe.
Meine Frau litt sehr unter der Hitze in Israel, das war ein Grund, weshalb wir 1992 nach München gezogen sind. Davon abgesehen wollte ich immer schon in Europa leben. Auslöser war wohl der erste Golfkrieg. Kurz vor dessen Ausbruch schickte ich meine Frau und unsere inzwischen geborenen Töchter nach München zu den Schwiegereltern.
Ich werde nie unser erstes Weihnachten in Deutschland vergessen. Wir waren in einem Möbelhaus, alles war schon wunderschön geschmückt. Meine Kinder hatten so etwas noch nie gesehen. Sie waren begeistert und glücklich. Und ich habe in dem Augenblick Panik bekommen, dass ich sie verliere. An Weihnachten und an den Nikolaus. Und dass, obwohl ich in der Nord-Tel Aviver High Society aufgewachsen bin als arroganter Snob in einer säkularen Gesellschaft. Ich war ein klassischer Drei-Tage-Jude. Durch das Erlebnis mit meinen Kindern habe ich angefangen, Kontakt und Bezug zur jüdischen Gemeinde zu suchen.
Erst hatte ich dort einen Nebenjob, dann bekam ich eine Stelle als Jugendleiter, für die ich mich mit einem sehr guten Konzept beworben hatte. Es lief bestens. Aber mit dem Erfolg kommen nicht nur Freunde, sondern auch Feinde. Deshalb haben wir uns vorzeitig wieder getrennt.
Mein ganzes Leben ist aufgebaut auf Storys und Schicksal. Ich bin beruflich von einer Sache in die andere gerutscht. Schon vor dem Aus in der Kultusgemeinde hatte ich nebenher für den European Council of Jewish Communities gearbeitet. Anschließend machte ich das hauptberuflich. Ich war zuständig für Programm und Entwicklung verschiedener Projekte, darunter Veranstaltungen für jüdische Singles. Später verdiente ich mein Geld bei der Hillel-Foundation, der größten Weltorganisation für jüdische Studenten. Für sie baute ich die Organisation in Europa auf. Insgesamt war ich von 1995 bis 2005 für das jüdische Europa tätig und habe an die 140 Veranstaltungen geplant, die von 50 bis 2500 Leuten besucht wurden. Ich bin süchtig danach, an Sachen beteiligt zu sein. Manchmal kommt es deshalb zu Konfrontationen mit starken Frauen, die mir in diesem Punkt ähnlich sind: süchtig nach Information und Macht. Inzwischen versuche ich den Rat zu beherzigen: »Don’t be right – be smart!« Für mich ist das unglaublich schwer. Dabei bewundere ich kluge, erfolgreiche Menschen.
Es gibt nur einen Tag in der Woche, an dem ich kein Programm habe, das ist am Samstag. Ich trage ausnahmsweise keine Uhr, koche und höre israelisches Radio. Meine Spezialität ist Wiener Schnitzel. Fragt mich jemand, ob ich koscher esse, antworte ich, dass ich auch koscher esse. Am Samstag gehen meine Frau und ich oft ins Kino. Ich mag deutsche Filme, zum Beispiel Fatih Akins »Auf der anderen Seite«.
Am Sonntag beginnt für mich die Woche wieder. Ich plane die kommenden Tage. Es ist wunderbar ruhig, und ich schaffe in zwei Stunden, was ich sonst nicht in zwei Tagen schaffe.
Aufgezeichnet von Andrea Schlaier