von Hannes Stein
Gaylen Ross ist von Josef Hader begeistert. Nein, falsch – sie ist dem österreichischen Kabarettisten und Schauspieler restlos verfallen. Gerade hat sie ihn auf einem Filmfestival in Der Knochenmann gesehen, der Verfilmung eines fantastisch morbiden Thrillers von Wolf Haas. Während sie die Filmhandlung nacherzählt, verschluckt sie sich mehrmals vor Lachen. Diese Österreicher! Wie kommt es, dass ein so lächerliches Land einen so großartigen Sinn für schwarzen Humor entwickeln konnte? Vielleicht, weil es von lauter Untoten heimgesucht wird: »Jetzt fehlt nur noch«, ruft Gaylen Ross aus, »dass die Österreicher einen Zombiefilm drehen.«
Mit Zombiefilmen kennt sie sich aus. Immerhin war sie der weibliche Star in George A. Romeros Dawn of the Dead, einem jener guten schlechten Filme aus den späten 70er-Jahren, die mittlerweile Kultstatus genießen. Ross spielt dort eine sehr blonde Heldin mit riesigen blauen Augen, der am Ende des Films in letzter Sekunde die Flucht vor den untoten, Menschenfleich fressenden Leichen mit einem Helikopter vom Dach eines Einkaufzentrums gelingt. Wer von den Zuschauern wusste damals schon, dass Gaylen Ross eigentlich Gail Sue Rosenblum heißt und als Tocher einer traditionellen jüdischen Familie in Indianapolis geboren wurde? Wer wusste, dass die Familie ihres Vaters im Holocaust umkam?
Die intensiven hellen Augen sind Gaylen Ross geblieben, ansonsten hat sie mittlerweile gründlich das Fach gewechselt. Die 58-jährige Amerikanerin blickt jetzt nicht mehr schreckensstarr in die Kameralinse hinein, sondern wach und interessiert durch das Kameraobjektiv hinaus auf die Welt: Der einstige Horrorstar dreht schon seit Jahren erfolgreiche Dokumentarfilme. Ihre Sujets? Spielsucht in Amerika. Männer, die sich ihre Bräute aus Russland einfliegen. Blutbeflecktes Nazigold in der Schweiz. Dieser Film war es, der sie einen neuen Weg einschlagen ließ, dem Ross sieben Jahre lang beharrlich gefolgt ist. Am Ende stand Killing Kasztner, ein Film über einen Juden, der mitten im Holocaust andere Juden gerettet hat: Reszö Kasztner aus Budapest verhandelte im Auftrag des zionstischen »Komitees für Hilfe und Rettung« mit der SS, auch mit dem leibhaftigen Adolf Eichmann. Durch Bestechung erreichte er, dass die Deutschen während der »Endlösung« mehr als 1.600 Juden (unter ihnen Angehörige von Kasztners Familie) nicht in den Tod, sondern in die Schweiz deportierten – allerdings auf dem Umweg über das KZ Bergen-Belsen.
Anfänglich dachte Gaylen Ross, dass ihr Film vor allem von jenem Zug, von jener Rettung erzählen würde. Der fertige Streifen aber handelt vor allem von der Zeit danach und von Israel. Denn Rudolf Kasztner wurde für seine Rettungstat nicht et- wa gelobt, geliebt und bewundert. Er be- kam auch keinen Orden umgehängt. Er wurde erschossen. Dem Mord ging ein demütigender Gerichtsprozess voraus – ein Verrückter hatte Kasztner öffentlich beschuldigt, er habe mit den Nazis kollaboriert. Kasztner strengte in Jerusalem einen Verleumdungsprozess an, der zu einem Verfahren gegen ihn selbst wurde.
Der Hauptanklagepunkt: Kasztner habe zwar ein paar Menschenleben gerettet, doch dies sei auf Kosten aller anderen geschehen. »Bei keinem der Nichtjuden, die Leute gerettet haben, wird die Frage gestellt: Und was ist mit den anderen?«, sagt Gaylen Ross. »Keinem Nichtjuden wird die Zahl jener Opfer vorgerechnet, die er nicht vor dem Tod bewahren konnte. Nur Kasztner.« Gaylen Ross sagt das nicht anklagend, aber ein sarkastischer Unterton ist nicht zu überhören.
Killing Kasztner lief gerade in Israel, wo er zu einem Sensationserfolg wurde. »Wir hatten schon Angst«, so Gaylen Ross, »denn uns kam ein kleiner Krieg dazwischen.« Der Kinostart fiel mit dem Anfang der Operation »Gegossenes Blei« zusammen, die israelische Armee feuerte auf Stellungen der Hamas im Gasastreifen. Es wäre allzu verständlich gewesen, wenn die Menschen andere Sorgen gehabt hätten, als sich gerade jetzt mit Reszö Kasztner zu beschäftigen. Aber es kam anders. Die Kinosäle waren gerammelt voll, und die israelischen Kritiker reagierten auf Gaylen Ross’ Werk beinahe einhellig enthusiastisch. »Für mich ist sehr wichtig, dass weder die Linken noch die Rechten meinen Film vereinnahmen«, sagt sie. »Ich glaube, dass sich an der Art, wie Israel den Holocaust betrachtet, gerade grundsätzlich etwas ändert.« Rudolf Kasztner wurde im jüdischen Staat mittlerweile rehabilitiert, eine Tafel im Museum von Yad Vashem erinnert nun an jenen Transport mit 1.600 Menschen, die dank seiner Hilfe nicht ermordet wurden.
Am meisten berührt den Zuschauer vielleicht das seltsam schöne, alte Gesicht von Kasztners Mörder, den seine hasserfüllte Tat nicht zur Ruhe kommen lässt. Ein Untoter auch er.
»Killing Kasztner« läuft Mittwoch, den 13. Mai, im Rahmen des Jewish Film Festivals in Berlin: www.jffb.de